An die Wand gesprüht

Wolfsbarsche am Stadtrand

 

 

Warum

... ich neuerdings auch auf Gleisen zu Fuß unterwegs bin.

Anlass

Meine erste lokale Begegnung mit absolut fangfrischem Seefisch.

Am Rande des Saarbrücker Stadtwalds tut sich ein riesiges Areal mit Brachwiesen auf, darauf weitläufige Gebäudekomplexe aus leuchtend rotem Backstein. Es handelt sich um das ehemalige Ei­sen­bahn-Aus­bes­serungs­werk Bur­bach, heute ein Industriedenkmal und Standort von ambitionierten Start-ups und Unternehmen. Zwischen ihnen ziehen Wolfsbarsch-Schwärme ihre Bahnen.
Blick auf eine Ausbesserungshalle (aw-Saarbrücken-Burbach)

Das Ausbesserungswerk Saarbrücken-Burbach, wo Lokomotiven und Waggons repariert wurden, war eine Welt für sich. In der dazugehörenden Siedlung wurde die Größe der Häuser nach Dienststatus dimensioniert. Für die Mitarbeiter und ihre Familien, die dort lebten, gab es eine Kantine, für die Versorgung einen „Konsum-Laden“, für die Bildung eine Schule, fürs Vergnügen eine Kegelbahn und für die Reinlichkeit eine Badeanstalt. Tatsächlich also eine Welt für sich. So ist es auch heute noch. Ganz anders allerdings!

Lokomotive vor Ausbesserungswerk

Beeindruckend ist das 300.000 Quadratmeter große Gelände, 1906 aufgebaut, kurz vor der Jahrhundertwende aufgegeben. Ich laufe auf Schienen, systematisch angeordnet, im Fachjargon „Gleisharfe“ genannt. Ein weit verzweigtes Netz von Gleisen, die es ermöglichten, die zu wartenden Lokomotiven und Waggons vom Haupt-Schienennetz in die vielen Hallen des Ausbesserungswerks zu leiten. Über den Eingangstoren, durch die jeweils ein Gleis ins Innere führt, stehen schwarz auf weißem Grund die Nummern der Hallen, „21“, „22“, „23“ und so weiter. Gegenüber Hausnummer „25“ ist eine „Verschiebeachse“ zur Ruhe gekommen, mittlerweile von der Natur zurückerobert, teilweise überwachsen von sprießenden Gehölztrieben. Das Instrument, eine Bühne im Grunde, diente dazu, die zu expedierenden Loks oder Waggons „quer“ zu den Gleisen zu versetzen, je nachdem, wie es die Arbeiten erforderten.

Verschiebeachse, aw-Saarbrücken-Burbach

Seewasser in der Halle

Container für Fischzucht, SEAWATER Cube

Nun schlendere ich beeindruckt zwischen den stylishen Hallen umher, über ihnen verlaufen mächtige Stahlverstrebungen, wie ein verbindender Dachsattel. Die Gebäude sind besiedelt von Start-ups, Spin-offs, Manufakturen, Unternehmen. Nach der dritten Abzweigung weiß ich nicht mehr genau, woher ich gekommen bin, Orientierung ist nicht meine Stärke. Ich lasse mich treiben und wähne mich irgendwann in Küstennähe, denn es riecht nach Meerwasser.

Eingang SEAWATER Cube

Ich stehe vor dem Eingang der SEAWATER Cube Halle und staune. Fernab der See schwärmen hier zwischen Wänden von ausrangierten, aufgearbeiteten Schiffscontainern Wolfsbarsche in durchdachter Umgebung durch ein großzügig dimensioniertes Becken. Ausgeklügelte Technik, geschlossener Wasserkreislauf. Wie ich erfahre, mit lediglich einem Prozent Wasserverlust aufgrund Verdunstung, keine Keime, keine Medikamente, keine Transportwege, kein Stress beim Schlachten. Die inzwischen oft beanspruchten Attribute „nachhaltig“ und „regional“ dürfen in diesem Falle guten Gewissens und im wahren Sinne des Wortes benutzt werden. Der Kunde bestellt den Fisch vor und bekommt fangfrische Ware. Und damit nicht genug: Der auf Eis gelagerte Fisch wird in umweltfreundliches Bienenwachspapier gehüllt, eine kleine Papier-Signatur verschließt das Fischpaket nicht nur ansehnlich, sondern spricht von vertrauenerweckender Handhabung. Die Fischpakete lagern in einer Papiertüte auf Stroh. Nicht wundern würde ich mich, wenn es sich um Bio-Stroh aus den umliegenden Brachwiesen handelte 🤩!

Folgsam im Schwarm

Wolfsbarsche

Der Fischschwarm in dem riesigen Becken fegt wie ferngesteuert in kreisförmigen Bewegungen umher. „Schwarmverhalten“ sagt man dazu, Forscher sprechen von „Schwarmintelligenz“. „Folge dem Fisch vor dir“ und „Halte die Geschwindigkeit des Fisches neben dir“, sich an dieser Regel orientierend bekommen die Tiere ihre geschmeidigen, absolut synchronen Formationen hin. Ich mache mir Gedanken über die doch recht naturferne Lebensumgebung, erkundige mich nach Erkenntnissen über Bedürfnisse und Seelenfrieden des Fisches und höre: Könne der Fisch ausgiebig schwärmen und sei die Besatzdichte angemessen, mangele es ihm an nichts. Davon könne man ausgehen, denn im natürlichen Lebensraum lebt der Wolfsbarsch in einer „Wassersäule“, also gewissermaßen in einer von ihm bevorzugten Etage zwischen Meeresgrund und Oberfläche. Er hat demnach auch keinen Kontakt mit Außenwelt oder Wasserpflanzen auf dem Meeresboden. Ich lerne, dass es genau dieses Schwarmverhalten ist, was die Fische zum Überleben benötigen, denn organisiert und schnell können sie Fressfeinden ausweichen. Dass er in dem ausladenden Becken keine Fressfeinde hat, das mag der Fisch wohl nicht wissen. Sonst könnte er entspannt in den Fluten treiben und sich allein zur Aufnahme der Futterpellets regen 😉.

Alles im Kasten

Fischbecken

Ich bin definitiv davon überzeugt, dass es den Fischen ihn ihrem Becken gut geht, denn ein Indiz für hervorragende Haltung ist immer die Gesundheit der Fische und der nicht notwendige Einsatz von Medikamenten. Innerhalb des Bassins durchschwimmen die Fische im Laufe ihrer Entwicklung drei Lebenszonen (Kohorten), dabei werden sie beim Wechsel in einen neuen Lebensabschnitt behutsam durch mit Netzen abgetrennte Schleusen geleitet. Man erspart ihnen manuelles Umsetzen, das Stress und Verletzungen der Fischhaut oder der Flossen mit sich bringen kann. Der letzte Weg vom Schwimmbassin auf die Eiswürfel ist denkbar schonend. Es ist nicht schönzureden, er muss bewältigt werden. Für die Fische jedoch, so kann ich es zumindest durch die Schilderung der Betreiber nachvollziehen, ist es ein stressfreier Gang. Auf Bestellung werden sie von Hand abgefischt. Ein Stromschlag in einem stark heruntergekühlten Becken, und schon sind sie das, was man im Menschenleben als „bewusstlos“ bezeichnet, betäubt also, sich jenseits von jeglicher Wahrnehmung befindend, bis ihr Tod eintritt. Später im Kühlraum liegen sie auf Eis. Sie sehen mit ihrem silbrigen Schuppenkleid, den kräftig roten Kiemen und den glasklaren Augen überzeugend frisch aus. Nase und Auge können sich nicht irren.

Barsch Biologie

Nun ist der Fisch also auf seinem Eisbett angelangt, und ich nutze die Gelegenheit, mich mit dem Wesen „Wolfsbarsch“ vertraut zu machen. Gut klingende Namen hat man ihm gegeben, etwa „Loup de mer“ oder „Branzino“. Man liebt ihn wegen seines wohl schmeckenden Fleisches, das auch für „Fische-Scheuende“ geeignet ist. Schmeckt er doch anders als zum Beispiel Salmoniden, nicht tranig und hat nicht wirklich Gräten, sondern, ähnlich wie der Seeteufel, eine Art Rückgrat, das sich einfach durch einen V-Schnitt entfernen lässt. Der Wolfsbarsch ist ein Jäger und kommt natürlicherweise in fast allen Weltmeeren vor. Er lebt in Nordamerika, Norwegen, Island, dem Senegal, den Kanaren, dem Schwarzen Meer und mittlerweile gar in der Nordsee. Er kann bis zu einem Meter lang werden und ein Gewicht zwischen zehn und zwölf Kilo erlangen. Allerdings kommt nur ein sehr kleiner Teil frei lebender Barsche in den Handel. Meist wächst er in Aquakultur auf.

Vegetation in den Hallen, aw-Saarbrücken-Burbach

Ein Stück Meer daheim

Die Uno prognostiziert bis 2050 einen Anstieg der Weltbevölkerung auf zehn Milliarden Menschen, und die Meere sind lange schon überfischt. Fisch aus Aquakultur stellt demnach eine sinnvolle Ergänzung für die Versorgung dar. Auf meine Frage, ob denn die Aquakultur „vor der Haustür“ eine Konkurrenz für die Seefischerei sei, höre ich überzeugende Argumente, die deutlich in Richtung „Ergänzung“ zielen. Mit Blick auf schwindende Bestände könnte die Aquakultur eine überlebenswichtige Alternative für viele Fischer sein. Wir reden jedoch im Falle von SEAWATER Cube nicht von „Aqua-Farming“ im großen Stil, sondern von speziellen und kleinen Lösungen unter anderem für Fischer. Darüber hinaus könnten sich durchaus auch Seiteneinsteiger wie Landwirte oder andere Produzenten für dieses Modell interessieren. Die Container benötigen lediglich einen Stellplatz von ungefähr 100 Quadratmetern, Wasser und Strom. Und sollte es Probleme auf der Anlage geben, ist der „Kleinfarmer“ übers Internet mit der Zentrale verbunden und bekommt aus der Ferne Hinweise und Unterstützung.

Sushi-Qualität aus dem Container

Fangfrischer Wolfsbarsch

Es gibt viele gute Gründe für das „Container“-Projekt in Saarbrücken-Burbach. Für mich als fischliebende Kulinarikerin ist das schlagende Kriterium die Frische. Selbst an der Nordseeküste nimmt der Fisch in den meisten Fällen den Weg in die Restaurants über den Umschlagplatz „Hamburger Fischmarkt“.

Containerhafen, Hamburg

Im Falle der Aquakultur vor meiner Haustür jedoch kann ich völlig sicher sein, absolut frische Ware zu kaufen. Ich bekomme den Wolfsbarsch in „Sushi-Qualität“, so dass sich viele Möglichkeiten für Rezepturen mit rohem Fisch anbieten wie etwa Tatar, Carpaccio oder Ceviche. Das Beizen à la „Graved-Lachs“ ist eine weitere Option, und in der kalten Jahreszeit wandern einige der Wolfsbarsche aus dem Container ins Rauchhaus, und schon wieder bietet sich der Köchin eine Varianz.

Oft schon saß ich an der Elbe und betrachtete mir die vorbeiziehenden, gigantischen Container-Schiffe. Mit Kulinarik habe ich sie jedoch bislang nicht in Verbindung gebracht. Es beflügelt meine Fantasie, mir vorzustellen, dass in den nächsten Jahren zahlreiche ausgediente Stahl-Cubes überall im Land und darüber hinaus mit quirligem Fischleben befüllt sein werden. Flächendeckend fangfrischer Seefisch auf kürzester Distanz zum Kunden: abgefahren aber denkbar!

Aus dem Becken in die Pfanne.

Und ein Nachschlag.

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