An die Wand gesprüht

Watt? – Inselglück

 

 

Warum

... ich mein Herz an eine kleine bezaubernde Insel verloren habe.

Anlass

Eine Kinderserie im Fernsehen. Ein komischer Name, der für mich so fremd klang. Und Bilder, bei denen ich wusste, ich möchte auch mal dahin.

Die Insel Amrum im nordfriesischen Wattenmeer ist für mich ein Sehnsuchtsort. Dieser atemberaubend schöne Fleck Erde lässt mir immer wieder das Herz aufgehen und bringt es fast zum Überlaufen. In der Nordsee habe ich mein perfektes Inselglück gefunden. Beseelt taumele ich durch die Urlaube und hinterher ist mir, als hätte ich alles nur geträumt! Ich zwicke mich ins Ohrläppchen und denke, wie unermesslich schön diese Welt auf 20 Quadratkilometern, umgeben von 10 Quadratkilometern feinstem „Kniep­sand“, doch ist!
Amrum, Kniepsand

Wie ich auf diese Insel stieß, deren Name sich sperrig und ruppig über die Zunge bewegt, vor allen Dingen, wenn man das mittige „r“ rollt, war reiner Zufall. „Öömrang“, nicht nur der Name, dänischen Ursprungs, liegt so weit ab vom Geläufigen, dass ich wohl nicht aus mir heraus auf die Idee gekommen wäre, dorthin reisen zu wollen. Ohnehin war der Norden nie Reisedestination meiner Begierde, zog es mich doch stets Richtung Mittelmeer, in die Nähe der „blauen Küste“ oder nach Rimini (Jugendsünden😊). Hingeführt zum Wattenmeer hat mich ein kleines Mädchen, sechs Jahre alt, ein Wonneproppen, von allen geliebt. „Annemarie Braun“ hat zwei lustige blonde Haarschwänzchen über den Ohren, zusammengehalten von riesigen Seidenschleifen. Immerzu hüpft sie unternehmungslustig von einem Bein aufs andere.

Nesthäkchen (Quelle: ZDF)

Faktencheck: Nesthäkchen

Das ZDF verfilmte die „Nesthäkchen“-Bücher von Else Ury und hat sie 1983 im Weihnachtsprogramm zum ersten Mal ausgestrahlt. Annemaries Vater, der Arzt Dr. Ernst Braun, blickte stets wohlwollend auf sein Töchterchen, auch wenn das des Öfteren dieses oder jenes Ereignis mit dem kraftvollen Ausruf „Donnerknispel!“ quittierte und dafür gemaßregelt wurde. Derart kernige Ausdrücke sollten nicht in das sprachliche Repertoire einer angehenden Dame der Gesellschaft gehören.

Annemaries Mutter Elsbeth, nobel und hochherzig, war in der Erziehung des Töchterchens so streng wie nötig, die Großmutter ließ ihr, wie das so ist, kleinere Verfehlungen schmunzelnd durchgehen. Der herzige Wildfang erkrankte an Scharlach und wurde zur Erholung in ein Kinderheim auf die Nordseeinsel „Amrum“ geschickt, des einen Glück … Die atemberaubenden Bilder von Strand und Dünen haben mich wie ein Blitz getroffen: „Donnerknispel!“

Leinen los

Seeschwalbe

Also haben wir uns auf den Weg gemacht zur Nordseeküste auf die tausend Kilometer entfernte Insel. Damals sind wir durch die Nacht gereist, starteten bei knapp unter 30 Grad, ausgestiegen sind wir in Bredstedt, kurz vor Nordfrieslands Küste bei 5 Grad. Da der Wagen durch die Heizung „klimatisiert“war, hatten wir den Abfall der Temperaturen nicht bemerkt, und griffen erst einmal ernüchtert und ungläubig nach den Anoraks auf der Rückbank. Wir frühstückten in einer Kunstgalerie, tranken starken Tee und verspeisten Schwarzbrot mit Griebenschmalz und geschmorten Äpfeln aus dem „Alten Land“. Besser hätte uns die Nordseeküste nicht willkommen heißen können. Wir verschliefen den Tag im gemütlichen „Thomsens Gasthof“ und speisten am Abend bodenständig mit akkurat aufgelegtem Besteck und gestärkten Stoffservietten beste Hausmannskost, für mich durfte es „Büsumer Kutterscholle“ mit reichlich Krabben und brauner Butter sein. Dazu genossen haben wir ein oder zwei Flens, ein oder zwei Linie-Aquavit, mehrfach über den Äquator geschippert und fielen sodann ins Bett, als seien wir persönlich ebenfalls mehrfach über den Äquator geschaukelt worden. Am nächsten Morgen ging es nach kräftigem Frühstück – mit und ohne „Korn“ – auf die Fähre. Die Vorfreude war groß, hatten mir doch die Filme einen lebhaften Eindruck dessen vermittelt, was uns erwartete. Wir setzten über!

 

Sand Strand

Nie werde ich den Augenblick vergessen, als ich in Norddorf hinter den haushohen Dünen auf den Strand blickte. Solch einen prächtigen, weißen, kilometerlangen Strand hatte ich noch nie gesehen. Leuchtend lag er vor mir mit dem weißen „Kniepsand“, diesem besonders feinen Sand, von dem jährlich große Mengen angespült werden, so dass der Strandstreifen immerzu wächst. Und dahinter blaues Meer und blauer Himmel, der Übergang vom einen ins andere Blau war kaum zu erkennen: „Donnerknispel!“. Ich hatte das Gefühl, in diesem gewaltigen Anblick regelrecht zu ertrinken! Er hat mir die Sprache verschlagen, Gänsehaut gemacht und mir die Tränen in die Augen getrieben. Das war einer von diesen besonderen Momenten, die ganz tief im Inneren etwas mit einem machen. Die die Seele singen lassen: Amrum!

Vielfalt im Kleinen

Rotschenkel

Auf kleinem Raum finde ich alles, was ich brauche, um glücklich zu sein, und staune fortwährend über perfekte Schönheit. Die Wattseite mit den Salzwiesen und tausenden am Boden brütender Vögel: Eine klangliche Melange aus Piepen, Zwitschern, Pfeifen und krächzend-klagenden Möwenschreien. Rotschenkel spazieren durch den Schlick, immer einmal wieder picken sie mit ihren grazilen Schnäbeln stoßweise nach Essbarem und ich sorge mich stets, dass das Schnabelspitzchen auf einen Stein treffen und abbrechen könnte! 🙄

Wundern und Staunen

Austernfischer

Die schwarz-weißen Austernfischer mit ihren langen, orangeroten Schnäbeln fischen entgegen dem, was der Name suggeriert, nicht nach Austern, sondern ernähren sich, viel bescheidener, überwiegend von Insekten. Auch sind sie keine Störche, obwohl man sie in Schleswig-Holstein „Halligstörche“ nennt. Lerchen stehen in hitzig-flirrender Luft. Im Schwirren singen sie vehement, am Boden sitzend nicht minder. Fantastisch zu beobachten ist die Bekassine, wenn sie auf Balzflug ist. Im Sturzflug lässt sie sich Richtung Boden fallen, wobei ihre Schwanzfedern im Wind vibrieren. Dieses Geräusch fasziniert mich immer aufs Neue, am ehesten lässt es sich mit einem luftig-leisen „Gewummere“ vergleichen: „Wwwwwwh!“. Ich fange am besten erst gar nicht damit an, mich um den überdimensionierten, dünnen Schnabel dieses kleinen Schnepfenvogels zu ängstigen. Wie es scheint, ist bisher alles gut gegangen, es scheint, ein Plan existiert! Am Rand einer Wattwiese zu sitzen und die Vögel zu beobachten, ist spannend und meditativ zugleich. Ich sitze stundenlang, vollkommen verschmolzen mit der Natur. Die Geräuschkulisse lullt mich regelrecht ein, denn kein menschlicher Laut dringt vor. Die einzige Straße führt durch das Inselinnere, das Überfliegen des „Nationalpark Wattenmeer“ ist verboten!

Gefiederte Familienbande

Graugänse

Im Frühsommer kann man dicht an dicht hudernde und hütende Graugänse sehen, die Ausflüge mit den tollpatschig watschelnden, tschilpenden Jungen machen. Übervoll sind die Wiesen, ringsumher tapern die flauschigen kleinen Dinger, die anfangs olivgrün gefärbt sind, so dass man sie zwischen den wackelnden Gräsern eher durch ihre huschende Bewegung wahrnimmt. Ich weiß nicht wie, aber die elterlichen Vogelpaare erkennen, wer zur Familie gehört, und wer nicht. Ich las, es seien die Stimmchen, die maßgeblich sind. Die Kleinen bleiben mindestens ein Jahr bei den Eltern, oft darüber hinaus. Friedlich teilen sie sich den knapp bemessenen Raum in den Salzwiesen. Warum, denke ich, kann der Mensch nicht so vernünftig sein, und muss sich andauernd bekriegen und vernichten. Platz genug hätten wir doch, auf dem Globus. Nicht aber im Kopf und in den Herzen! Ich setzte mich hin, schaue und lausche auf alles und nichts und inhaliere den Frieden.

 

Kleine Aussicht ins Große

Die Strandseite und die lang gezogene Nordspitze, die „Odde“ sind besiedelt von weiteren Seevogelscharen, die hoch oben in den gewaltigen Dünen brüten. Der Amrumer Strand ist überwältigend. Die Weite realisiert das Bewusstsein nicht und am Ende verschmelzen Wasser und Himmel miteinander zur ewigen Einheit. Die stundenlangen Spaziergänge sind gleichermaßen beeindruckend bei blauem als bei bewölktem Himmel, bei Flaute, Wind oder Sturm, bei Ebbe oder Flut. Niemals ist diese großartige Kulisse statisch, Meer und Firmament sind immer in Veränderung begriffen. Mich beeindruckt am stärksten die auflaufende Flut, weil es immer wieder faszinierend ist, wie das Wasser zunächst unmerklich, doch dann immer schneller steigt. Ein kraftvolles Schauspiel, das mich demütig macht und erdet. Im Angesicht solcher Pracht und überdauernder Gewaltigkeit, verlieren die Gedanken des klein-kleinen Alltags schlagartig ihre Bedeutung.

Sicherheit geht vor

Angriff einer Seeschwalbe

Wenn man sich durch den breiten Sandgürtel durchgearbeitet hat, kann man am Wassersaum mühelos auf relativ festem Untergrund laufen. Einige Hartgesottene, möglicherweise im Vorleben „Fakir“ gewesene, laufen barfuß am Strand, mir will das jedoch nicht gelingen. Zu scharfkantig sind tausende umherliegende, teilweise zerbrochene Muschelschalen. Es gibt Herausforderungen, die ich nicht unbedingt brauche. Zu denen gehören auch kriegerisch-kreischende Möwen und mutige Seeschwalben, die mich beim Steinesammeln attackierten, weil sie mich wohl für einen blaufarbenen Nesträuber hielten!

Location Ranking

Haus in Nebel, Amrum

Auf Amrum ist beinahe alles schön. Gut, Wittdün am Südzipfel, mit von Weitem sichtbaren Betonklötzen ist kein Schmuckstück. In Wittdün halten wir uns im Urlaub genau zweimal auf: Wenn wir mit der Fähre ankommen, und wenn wir abreisen. Bereits im nächsten Dörfchen wird man von Friesland malerisch begrüßt. In „Nebel“ sitze ich häufig neben der Kirche „St. Clemens“ auf dem Friedhof inmitten von Blütenpracht, lausche den 152 „sprechenden“ Grabsteinen und höre mir die bewegten Lebensgeschichten an, die sie zu erzählen haben. Habe ich genug erfahren, ziehe ich um in das kleine Friesencafé, wo es die leckersten Eiersandwichs mit Schwarzbrot von der Insel und den saftigsten Rote-Bete-Kuchen ever gibt. Der Kuchen, der hat es überhaupt in sich auf der Insel.

Im Strandkorb

In Norddorf, im legendären „Café Schult“ muss man einmal die Friesentorte verspeist haben: Mehrere Lagen knuspriger Blätterteig, Sahne und Pflaumenmus wechseln sich ab und versetzen mich bis zum letzten Krümel in wahre Wonne! Essen kann man an vielen Stellen sehr gut. Sei es im Restaurant des historischen „Hotel Hüttmann“ in Norddorf, oder im Restaurant des Hotels „Friedrichs“ in Nebel. Oder man geht zum „Strand 33“, im „Strunwai 33“, direkt am Norddorfer Strand, gegenüber dem Strandkorbverleih „Boyens“. Hat man ausgiebig im Strandkorb gedöst, setzt man sich auf die luftige Terrasse mit Traumblick, lässt sich mit einer Auswahl an vorzüglichen Tappas verwöhnen und nippt dazu einen der köstlichen Weine aus aller Welt. Der Wein ist das Steckenpferd des Hausherrn.

 

Auf dem Thron der Welt

Der allerschönste Platz auf der Insel ist die über einen Buhnenweg zu erreichende Himmelsleiter. Allein schon der Weg dorthin ist atemberaubend. Dünen, soweit das Auge reicht und überall mittendrin bunt schillernde Fasane mit ihren Jungen. Und bestimmt Millionen von kleinen kuscheligen Kaninchen, die man allerdings, des Buddelns wegen, nicht so gerne auf der Insel hat. Wenn ich oben auf dem höchsten Punkt sitze, empfinde ich das aus herangespülten Planken gezimmerte Holzbänkchen als den Thron der Welt!

Da oben ich, der Wind und die Möwen, ganz weit unten ein paar Menschen. Mit schwerem Schritt im weichen Sand bahnen sie sich den Weg durch die Hügellandschaft, die – gäbe es nicht den Strandhafer – an eine Mondlandschaft erinnerte. Wenn es gut läuft, nehme ich nächsten Frühsommer wieder Platz auf meinem Thron! 💓

Update 2020

Leider mussten wir absagen, denn „Corona“ meinte es nicht gut mit uns allen!

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