An die Wand gesprüht

Tellerhandschrift. Thomas Schanz

 

 

Warum

... ich lieber im tiefen Moseltal gut speise als in schwindelnder Höhe zu wandern.

Anlass

Ein gemütlicher Abend mitten im Herbst im kleinen Piesport.

Piesport an der Mittelmosel, ein beschauliches Straßendorf, das seit beinahe zehn Jahren unverhofft erlebte Geschichten erzählen kann. Unter anderem über Gäste, mit denen man so nie gerechnet hatte. Thomas Schanz hat dafür gesorgt, dass nunmehr Hochküche und kulinarische Meriten die Aufmerksamkeit aus dem Dreiländereck und von weit her auf den Ort lenken. Über seinem Gourmet-Restaurant „schanz. restaurant.“ leuchten zwei Michelin-Sterne.
Update 2022: Mittlerweile sind es sogar drei Sterne.
Thomas Schanz

Gutbürgerliche Gaststätten, Weinstuben und Pensionen für weinselige Gäste gab es hier von jeher, denn die Landschaft entlang des Flussbettes, mit malerischen Weinbergen lockte Besucher an. Dass einmal Gourmets ins Dörfchen pilgern und der Name Piesport in sämtlichen wichtigen Restaurant-Führern auftauchen würde, ist das Verdienst von Thomas Schanz. Seine Eltern standen fest hinter ihm, ansonsten haben ihm nicht viele Mut dazu gemacht, an dem kulinarisch noch nicht erschlossenen Moselufer ein ambitioniertes Restaurant zu eröffnen. Doch der erste Stern ließ nur wenige Monate auf sich warten. Viele weitere Auszeichnungen bekam er inzwischen verliehen. Einige davon: „Koch des Jahres“, „Aufsteiger des Jahres“ und „Gastgeber des Jahres“, höchste Weihen der einschlägigen Restaurant-Bewerter.

Ein Funkeln in der Küche

Der zweite Stern gesellte sich 2015 hinzu. Mag die Küche einerseits klassisch fundiert, andererseits beschwingt und leichtfüßig anmuten, niemand sollte daran zweifeln, dass der zweite Stern mit viel Leidenschaft, Ehrgeiz, Können und Einsatz erkocht wurde. Wenn etwas gekonnt umgesetzt wird, ahnt man oftmals nicht, wie hart dafür gearbeitet wurde. Thomas Schanz aber sagt, dass ihn vor allem Leidenschaft zum Beruf und die Freude, den Gast glücklich zu machen, tragen und beflügeln. Ich denke, dass der vorbehaltlose Einsatz von Kräften durchaus den Gegenpart Glück in sich birgt. Er spricht darüber, wie froh er ist, seine Kreativität und seine Leidenschaft fürs Kochen ausreizen zu können. Mich wiederum berührt dieses Bekenntnis im Gespräch mit ihm, offenbart sich mir ein Spektrum jenseits von Streben nach Anerkennung und Erfolg. Ich glaube an den göttlichen Funken, der Freude am Schaffen beschert und den Schaffenden selbst beseelt. Solch einem Funken – nicht zu klein - bin ich heute wieder einmal begegnet.

 

Panik im März – Hochgefühl im Herbst

Ich erfuhr über das Restaurant „schanz. restaurant.“ beim Schmökern in Der Feinschmecker und wusste, ich möchte es kennenlernen. Die Mosel, ihre verwegenen Windungen und ihre Steillagen waren mir Begriff, denn bereits ein Schulausflug führte mich in eine Jugendherberge dorthin. Vor einigen Jahren wanderten wir auf einem Teilabschnitt des Moselsteigs hoch über Traben-Trarbach, und ich kam an den Rand einer Panikattacke. Ende März hatten die noch unbelaubten Steilhänge dem Fernblick aus schwindelerregender Höhe hinunter ins Tal nichts entgegenzusetzen. Der Fluss weit unten wirkte wie ein silbriges Fädchen, und ich sah mich auf dem schmalen Pfad straucheln und in die Tiefe stürzen. Ein gewaltiger Umweg führte uns zurück.

So schön wie bei dem Besuch im „schanz. restaurant.“ hatte ich die Landschaft jedoch bislang nicht erlebt, denn die in allen Herbstfarben leuchtenden Weinberge sind atemberaubend, selbst bei bedecktem Himmel. Der leichte Nieselregen an diesem Tag vermag ihre Strahlkraft kaum zu dämpfen. Diesmal hatte ich keineswegs das Gefühl, es könnte mich in Abgründe, sondern eher in wonnige Höhen katapultieren. Anseilen und festklammern 😉 nicht nur überflüssig, sondern unerwünscht!

 

Ein Mehrstufenplan

Thomas Schanz hatte den Plan zu kochen nicht von jeher auf dem Schirm, in den Genen möglicherweise schon. Man möge seine Kulinarik gustieren, dann kann man nicht anders, als sich dieser Einschätzung anzuschließen. Dem Familienerbe verbunden ging es ihm zunächst darum, das Anfang der Neunziger erbaute Familienhotel eines Tages weiter zu führen. Also absolvierte er die Lehre im Hotelfach, seinem Naturell entsprechend mit Überzeugung und Auszeichnung. Danach fragte er sich schließlich, wie der Weg nun weiter verlaufen sollte. Sein Ausbilder gab ihm einen klugen, pragmatischen Rat: Wolle er ins Management an die Spitze eines gastronomischen Betriebes, so sei es angeraten, eine Kochausbildung zu absolvieren, damit er wisse, worauf es in der Praxis ankomme. Er überzeugte ihn davon, dass es von Vorteil sei, die Aufgaben von Küche und Service unbeirrbar einordnen und somit angemessene Entscheidungen treffen zu können.

Lernen am Objekt

Also entwarf Thomas Schanz, unterstützt von seinem Lehrherrn, einen Plan und kontaktierte – es stand wohl schon fest, dass man eine Spitzenposition anstrebte – einige der besten Küchen und Köche der Republik. Schanz bekam umgehend einen Lehrvertrag in dem angesagten Gourmettempel „ever“ im Nordschwarzwald, der „Traube Tonbach“. Obwohl Harald Wohlfahrt selbst keine Lehrlinge ausbildete, erzählt Schanz, habe der „Meister“ ihn stets wohlwollend begleitet. Zudem – ich hätte es ob der strengen Anmutung Wohlfahrts nicht für möglich gehalten – brachte er ihn mit locker-launigen Scherzen zum Schmunzeln. Und er habe ihn auch zu hochkarätigen Kochereignissen mitgenommen. Solche Erlebnisse eröffnen Einblicke und Perspektiven, die denjenigen, der weiterkommen will, nach vorne bringen. Thomas Schanz erweckt bei mir den Eindruck von Entschlossenheit und Zielstrebigkeit. Ich denke, er hat ein Gespür für die besonderen Momente, die das Leben bietet, und bei denen man beherzt zupacken muss. Den Weg nach oben kann man nur so bewältigen!

Hinwendung zur Mosel

Weinberge bei Piesport

Schanz hat eine starke Hinwendung zur Heimat an der Mosel, spürt, dass die bildschöne Landschaft dazu prädestiniert ist, kulinarisch erschlossen zu werden. Er ist ein Traditions- und Familienmensch, und es ist ihm ein Anliegen, weiterzuführen, was gesetzt und bislang erfolgreich ist. Das „schanz. restaurant.“ wird gebaut – innovativ, großzügig, hell, licht, in die Zukunft tragend. Wenige Monate nach der Eröffnung wurde Thomas Schanz der erste Stern verliehen. Nun geschah, was nach diesem Ereignis immer geschieht, Tester, Journalisten und Kollegen gaben sich ein Stelldichein um nachzusehen, was sich in dem entlegenen Örtchen an der Mosel tut und wohl noch tun mag. Denn dass der jahrelange Sous-Chef von Helmut Thieltges, der im „Sonnora“ in Dreis achtzehn Jahre lang mit drei Sternen ausgezeichnet wurde, vieles an Handwerk, Disziplin und Genialität mitgenommen haben würde, war allen klar.

Alle Teller im Schrank

Detail eines Tellers

Keine pingelige und triste Restaurantkritik wird nun folgen, sondern mein persönlicher Eindruck zu einem außerordentlichen Menü. Die klassisch basierten Gerichte kommen leicht, spielerisch und mit tiefen, beinahe verwegenen Aromen auf die Teller. Und zwar präzise angerichtet nicht auf irgendwelchen Tellern. Schanz ist offensichtlich durch und durch Ästhet, denn er legt großen Wert auf außergewöhnliches und zu den Gerichten passendes Geschirr. Mich, bedingt durch meinen Blog „FoodLady“, selbst Geschirrliebhaberin, trifft das ins Herz. Solch durchdachte Präsentationen sieht man selten! Er sucht das Geschirr persönlich und nach seinen Vorstellungen aus, und eine umfangreiche Ansammlung davon wartet in den Regalen auf ihren glanzvollen Auftritt.

Degustation im Überblick

Gruß aus der Küche

Besonders entgegenkommend und gastfreundlich empfand ich es, dass für den besten aller Ehemänner, der es nicht so mit Fisch hat, ein köstliches Menü ohne selbigen zusammengestellt wurde. Und nicht nur das, eine extra Karte hat man ihm bei Tisch ebenfalls gereicht. Überraschung und Freude waren übergroß!

Der offene Raviolo mit Steinpilzen und reichlich Trüffel besticht durch Aromenspiel und Cremigkeit, zurückhaltend eingesetzter Salikorn, im Wattenmeer Queller genannt, verleiht knackig-salzige Spitzen. Das walisische Lamm wird begleitet von einer winzigen Artischocke, die als Füllung raffiniert gewürztes Lammbries beherbergt. Der schneeweiße Teller sieht aus, wie gewellte konzentrische Kreise, die in ihrem innersten Ring das butterzarte Lamm am „Stiel“ aufgenommen haben.

Walisisches Lamm mit Artischocken-Lammbries-Chartreuse, Tropfenpaprika und griechischem Jogurt
Walisisches Lamm mit Artischocken-Lammbries-Chartreuse, Tropfenpaprika und griechischem Jogurt
Pommes Anna

Galantine von Kalbsfilet und Bries mit Pfifferlingen wurden liebevoll umgarnt von einem nicht mehr als Daumen hohen rechteckigen Bündelchen Streichholz-feiner Möhren, zusammengehalten von einem Fädchen Schnittlauch, aufrecht stehend wie ein feingliedriger Zwergenmonolith. Als Basis zum festen Stand wurde ein kleiner Klecks Möhrencreme spendiert. Es handelt sich jedoch nicht um einen zufälligen Klecks, denn Dimension und Positionierung wurden präzise gesetzt! Die blütenförmig angeordnete Winzversion des klassischen Kartoffelauflaufs „Pommes Anna“ flankierte die Galantine auf „3 Uhr“, exakt gegenüber der aufrechten Möhre. Bei der Annonce einiger Teller wurde aus Gründen der besseren Verständlichkeit praktischerweise die Uhr bemüht. Klug, unmissverständlich!

Hunsrücker Rehrücken mit Topinambur, schwarzer Aragón-Olive und Zitronenmyrte-Jus
Hunsrücker Rehrücken mit Topinambur, schwarzer Aragón-Olive und Zitronenmyrte-Jus

Der darauf folgende butterzarte Rehrücken begeisterte nicht nur durch seine symmetrische Anordnung auf schlichtem Teller. Ich denke, hier sollte nichts vom Hauptgang ablenken. Die Präsentation wurde getoppt mit „Aragón“-Olive, deren betörende Aromatik dadurch entsteht, dass man die Früchte geduldig am Baum reifen lässt, bis sie auf natürliche Weise schwarz geworden sind. Der Topinambur dazu kam in drei Konsistenzen auf den Teller: als Crème, als Tatar und frittiert. Begeisternd war eine hoch aromatische Jus aus Zitronenmyrte. Dieser Gang beschreibt die Handschrift von Thomas Schanz perfekt: elegant, lässig, gewagt, überraschend.

Gebratener Kohlenfisch mit Kohlrabi, Kokos und Thymian-Aufguss
Gebratener Kohlenfisch mit Kohlrabi, Kokos und Thymian-Aufguss

Meine Fischgänge

Meine Fischgänge brachten mich zum Schwelgen. Der „Gebrannte Kohlenfisch“ überraschte mich komplett. Thomas Schanz erläutert die raffinierte und aufwändige Kreation. Der Fisch wird zunächst in einem kraftvollen, stark reduzierten Sud aus Miso, Krustentier, Orange, Ingwer und weiteren Ingredienzien mariniert. Dann kommt er bei niedriger Temperatur in den Ofen und wird mit dem Bunsenbrenner finalisiert. Außen entwickelt sich ein tiefer Wohlgeschmack, innen ist der Fisch zart und saftig. Die perfekte Idee trifft auf perfekte Technik!

Liaison on Nordmeer-Kabeljau mit Bottarga, Weinhefe und Kardamom

Nordmeerkabeljau wird bestreut mit geriebenem Bottarga (würziger, getrockneter Fischrogen), sowie Kügelchen von der Weinhefe und ist gebettet in Kardamom-Schaum. Da haben wir es wieder mit der verwegenen Aromatik, und da haben wir es wieder mit dem passenden Porzellan! Ein breitkrempiger weißer Teller beherbergt Fisch samt Schaum in einer meerblauen Vertiefung und mein Malerherz jubelt!

Der gegrillte Carabinero hat auf Fenchel Platz genommen und wird von fruchtiger Orange und samtenem Ziegenricotta flankiert. Zugedeckt hat man ihn mit mild-nussigen, hauchdünnen Pilzblättchen. Das leuchtend rote Tierchen war auf einem weißen, rau gemaserten Teller angerichtet, der mich an arktische Landschaft erinnerte. Wundervoll!

Gefüllter Atlantik Carabinero mit Fenchel, Orange und Ziegenricotta
Gefüllter Atlantik Carabinero mit Fenchel, Orange und Ziegenricotta

Und zum Abschluss wieder eine Überraschung, mit der der Koch ein zusammenfassendes Siegel unter das Erlebnis setzt: „Vacherin glacé“ – ein luftiges Törtchen unter Meringe punktet mit Himbeere und Sauerampfer. Es verbindet sich Süße mit zwei völlig unterschiedlichen, jedoch perfekt harmonierenden Säurekomponenten. Durchdacht bis ins Detail, raffiniert!

Vacherin Glacé mit Himbeeren und Sauerampfer
Vacherin Glacé mit Himbeeren und Sauerampfer

In sympathischer Begleitung

Im Restaurant fühlt man sich nicht nur wegen der feinen Speisen überaus wohl, sondern auch durch den hervorragenden Service unter der Leitung von Adrienn Pasztusics. Mit Zugewandtheit, Leichtigkeit, Frische und feinem Humor begleitet sie uns durch den Abend. Ihre Performance wirkt gleichermaßen grazil wie auch schwungvoll. Mit wohl gesetzten Aperçus unterhält sie uns auf das Gepflegteste.

Les Délices
Dezente Tischbeleuchtung

Das Restaurant nimmt einen mit zurückhaltender, gediegen eleganter Ausstattung auf. Mein Geschmack ist genau getroffen: Luftige, leicht transparente Raumteiler untergliedern den Gastraum am oberen Drittel, und wir sitzen wohltuend, jedoch nicht zu stark abgeschirmt, gemütlich an unserem Tisch. Dieser und die Speisen übrigens perfekt ausgeleuchtet mit der wundersamen, magnetisch stabilisierten Tischleuchte „TETATET“ von Davide Groppi, tricky!

Glücklich und zufrieden

Wer sich glücklich, zufrieden und müde vom Tisch erhebt, muss nicht durch die Nacht nachhause reisen, sondern kann nebenan auf einem komfortablen Box-Spring-Bett vom schönen Abend träumen. Das kleine Hotel mit zwölf Zimmern wurde nach den Vorstellungen von Thomas Schanz modernisiert. Die Innenarchitekten verstanden ihr Handwerk, die Zimmer sind individuell und stilvoll ausgestattet, mit Liebe zum Detail, soliden Materialien und gemütlichem Licht. Den Stil als „üppig“ zu beschreiben, wäre zu viel, ihn als sachlich einzuordnen, zu wenig. „Zeitlos“ und „stylish“ erscheint mir passend. Wir fühlten uns im Haus von Familie Schanz sehr gut aufgehoben und überaus freundlich betreut. Wir haben schöne Stunden verbringen dürfen und kommen wieder!

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