An die Wand gesprüht

Tellerhandschrift. Clemens Rambichler

 

 

Warum

... es ein junger hochtalentierter Koch geschafft hat, in kürzester Zeit höchste Meriten zu bekommen.

Anlass

Eine Reise zum „Waldhotel Sonnora“ in der Eifel mit einem der besten Restaurants Deutschlands.

Manchmal macht das Leben eine plötzliche Kehrtwende. Legt einen Stopp, im schlimmsten Fall ein unerwartetes Aus ein. Davon kann ein Jeder betroffen sein, auch hochtalentierte und von positiver Schaffenskraft geleitete Menschen. Möglicherweise trifft es gerade diejenigen, die sich nicht als das Wichtigste im Leben sehen, und deren Fokus nicht auf das eigene Wohlbefinden gerichtet ist. Glück ­im Unglück, wenn dann ein Mensch da ist, der wie ein Fels in der Brandung steht, auf den man bauen und vertrauen kann, und der mental und handwerklich bestens aufgestellt ist.
Clemens Rambichler

Clemens Rambichler stand seit Jahren als Sous-Chef an der Seite von Helmut Thieltges. „Posten an Posten“, wie man in der Küchensprache sagt. Arbeiten im Schulterschluss. Das schweißt zusammen, nicht nur professionell, sondern auch menschlich. Und dann der plötzliche Verlust von Rambichlers Chef und Mentor. Ich bewundere ihn für seinen Mut, dass er nach nur knappem und überraschendem Vorlauf in sehr große Fußstapfen zu treten bereit war. Er wächst in Rekordzeit hinein und behält auch die Meriten, denn drei Michelin-Sterne werden ihm umgehend bestätigt. Das ist mir eine Verneigung wert.

Solide und spontan

Als ich ihn darauf anspreche, reagiert er bescheiden: „Solides klassisches Kochhandwerk ist die Basis des Ganzen“. Das habe er von seinem Lehrmeister gelernt. Auch spontan und flexibel zu bleiben, habe der ihm geraten. Darauf, und auf manchen Rat, der ihm mitgegeben wurde, vertraue er. Auf diesem soliden Fundament könne er jederzeit Kreativität an den Tag legen.

Sein Kochstil sei spontan und er entscheide unabhängig von Trends und so mancher Kritik, die ihm jedoch dann wichtig ist, wenn sie ernst gemeint und fundiert ist. Er lässt sich nicht von äußeren Einflüssen leiten. So beweist er Mut auch an dieser Stelle, ohne abgehoben zu sein.

Kalkulationen und Küchenwunder

Mut gehörte sicherlich auch zu dem Entschluss, das gesamte Unternehmen „Waldhotel Sonnora“ in eigene Verantwortlichkeit zu übernehmen. Ich rede an dieser Stelle nicht von betriebswirtschaftlichen Kennziffern, „dass sich ein guter Unternehmer an betriebswirtschaftlichen Zahlen orientieren muss, steht außer Frage“, sagt Rambichler. Doch das Wichtigste sei für ihn nach wie vor die Zubereitung seiner Speisen, mit denen er seine Gäste immer wieder aufs Neue begeistert. So bezieht er die Energie für sein Schaffen, wenn er seine makellosen Teller an die Tische schickt. Dass dies viel Kraft erfordert, lässt er nur am Rande durchblicken, nennt es „Fleiß“. Das Wort kommt über seine Lippen wie eine Selbstverständlichkeit.

Clemens Rambichler

Clemens Rambichler macht kein Aufhebens um sich. Nach meiner Wahrnehmung ist er eine starke Persönlichkeit, die in sich ruht und geerdet ist. Als er zu unserem Gespräch in die Lounge kommt – groß gewachsen, kraftvoll wirkend, intensiver Blick aus ernsten Augen, fester Händedruck – bestätigt sich mein erster Eindruck. Mir schießen die Attribute „selbstbewusst“ und „cool“ durch den Kopf. Zugleich spüre ich, dass Rambichler ein nachdenklicher Mensch ist, der keine verbalen Schnellschüsse von sich gibt, obwohl er es könnte. Im Gespräch reagiert er spontan und witzig, einfach eloquent. Eine außergewöhnliche, spannende Mischung.

Eine Brücke vom Einst zum Jetzt

Bei meiner Ankunft im „Waldhotel Sonnora“ erkunde ich zunächst das Haus, in dem der Geist von Helmut Thieltges noch immer zu spüren ist. Im Entree erinnert ein gerahmtes Bild an ihn. Auch an anderen Stellen erzählt Einiges von vergangenen Zeiten. Keine zur Schau getragene Nostalgie, sondern bleibende Verbundenheit, die die Zeit überdauert hat.

Das Haus hat im Laufe der Jahre schon viel gesehen, es ist ein Ort, der bis heute Gäste glücklich macht. Bescheiden ist das Restaurant einst gestartet, in dem zunächst Pensionsgäste bekocht wurden. Immer weiter ist es gewachsen und wurde unter der Leitung von Ulrike und Helmut Thieltges edel und feudal. Nach der Übernahme des „Sonnora“ durch das Ehepaar Rambichler haben die beiden behutsam eine Umgestaltung des Hauses vorgenommen. In den neu aufgearbeiteten Hotelzimmern übernachten weiterhin Genussmenschen und werden im stylishen Restaurant auf Weltklasse-Niveau bekocht.

Behutsam in die Gegenwart

Das Restaurant im Waldhotel Sonnora

Durch und durch haben Magdalena und Clemens Rambichler die Anpassung des Hauses an die Gegenwart geplant. Der neue Auftritt von Restaurant und Lounge ist leichter und luftiger als der alte. Die Farbgebung ist zurückhaltend und folgt einer lichten Grau-Blau-Linie. Stoffe des Mobiliars wirken einladend und gemütlich, federleichte Gardinen im Restaurant umrahmen die Fenster. Die Beleuchtung ist sanft und gibt dem funkelnden Lüster im Zentrum Raum. Ich stelle fest, dass ein Lüster nicht zwangsläufig steif und protzig wirken muss, sondern sich auch leichtfüßig und sympathisch grazil präsentieren kann. Leise empfängt den Gast dezente Musik – Jazz in kleiner Besetzung. Ich bin begeistert, denn mein Geschmack ist auch auf dieser Ebene getroffen. Später erfahre ich zudem, dass die Entscheidung der Musikzusammenstellung von Clemens Rambichler selbst getroffen wurde.

Detail des Raumtrenners

An vielen Stellen im Hause bemerke ich das Zusammenspiel von bewährten konservativen Stilelementen, die in frischem Ambiente noch besser zur Geltung kommen. Vergangenes und Gegenwart sind perfekt verbunden. Der Raumtrenner im Restaurant ist filigran und klar zugleich. Ein Statement vergangener Zeit, denn er stammt mit minimalistischem Auftritt und strenger Geometrie eben nicht aus den Siebzigern, wie ich ursprünglich gedacht hatte. Die Quadrate und kreisrunden Ringe sind erst während der Renovierungsphase von einem Schlosser entwickelt und von Hand passgenau geschmiedet worden. Ein behutsamer Brückenschlag von Einst und Jetzt. Nach und nach werde ich nachdenklich über die leisen Töne, in denen das „Sonnora“ zu mir spricht.

Ein Freigeist in der Küche

Clemens Rambichler

Auf das routinierte Rekonstruieren von Gerichten verzichtet Rambichler.

Wenn mir im Laufe des Tages etwas einfällt, was noch besser zu einem Gang passt, wird das spontan umgesetzt. Auch wenn der Service am Abend stöhnt.

Einzelne Gerichte auf der Karte können sich dadurch aus dem Impuls heraus verändern, sie bekommen die Chance einer Anpassung und somit Weiterentwicklung. Wo liegt also die Grenze zwischen Kunst und Handwerk? Aus solidem Handwerk und dem Gefühl für Improvisation erwächst diese ganz eigene „Kunst auf dem Teller“.

Ich spüre bei ihm keine ausgetretenen Wege, stattdessen Spontaneität, sicheres Handwerk, Freude am Kreativen, gepaart mit einer kräftigen Prise Unabhängigkeit. Auf sein Fingerspitzengefühl beim Würzen angesprochen, meint er:

Ich gehe beim Würzen gern an die Grenze.

Bei jedem Gang, den ich am Vorabend genossen hatte, spürte ich in der Tat seine Entschlossenheit, „bis an die Grenze" zu gehen. Ein „Zuwenig“ oder „Zuviel“ begegnete mir an keiner Stelle.

Auf „Schall und Rauch“ legt der Küchenchef keinen Wert. Bei ihm hat das „Schäumchen“ nicht wegen eines Showeffektes seine Berechtigung, sondern ist virtuos eingesetzt und erweitert das Aromenspektrum bis hin zur Perfektion.

Unnötig zu schreiben, dass es bei Clemens Rambichler keine künstlichen Geschmacksverstärker oder andere Zusatzstoffe gibt:

Bei mir gibt es keine Pülverchen oder irgendein „E-Zeugs“. Wenn meine Tochter bei mir isst, will ich wissen, was sie zu sich nimmt. Ich verwende ausschließlich Produkte, von denen ich überzeugt bin.

Degustation im Überblick

Rosen in einer Vase

Das Haus ist authentisch geblieben, und ebenso authentisch hat Clemens Rambichler die Küche weiterentwickelt. Das Menü des Abends überzeugt mich ganz und gar. Der Stil ist unverwechselbar, und die Zutaten fließen nach meinem Geschmack vollkommen in das Zusammenspiel eines jeden Tellers ein. Jeder Gang ist perfekt zubereitet, und die Dramaturgie des Menüs führt zu einem durchdachten und damit beeindruckenden kulinarischen Gesamtkunstwerk. Kontraste sind gerade so vorhanden, dass sie wohltuend wirken und doch eine Spannung aufrechterhalten. Nicht ein einziges Mal kommt Langeweile auf. Überraschung ist gebettet auf ein Fundament von ausgewogen balancierten Aromen.

Ouvertüre mit Paukenschlag

Geeiste Auster mit Gartengurke

In Rambichlers „Ouvertüre“ punktete bei mir bereits das Zusammenspiel von Flusskrebs und Salicorn, süßlich fein abgestimmt der Krebs mit der knackigen Meeresalge. Die geeiste Gillardeau-Auster mit der Gartengurke ging eine ebenso beeindruckende Liaison ein. Und auch der erste „offizielle“ Gang des Menüs war für mich eine Offenbarung! Die in Eiswein marinierte Gänseleber mit dem fein-spitzig herben Kontrast des geeisten Staudenselleries war ein überwältigendes Geschmackserlebnis.

Langoustines „Royales“ mit Sauce Vierge, marinierter Ochsenherz-Tomate, Kampot-Pfeffer-Nage und Hollandaise von ligurischen Oliven
Langoustines „Royales“ mit Sauce Vierge und marinierter Ochsenherz-Tomate
Kleiner Eintopf von Hummer aus Saint Malo mit Bohnen, Endivie, geschmortem Chicorée, eingelegter Birne und Lauchöl

Der Langostino war auf einer durch die marinierte Ochsenherztomate frisch säuerlichen und fruchtigen „Sauce Vierge“ gebettet, umschmeichelt von einer leicht herben Oliven-Hollandaise. Das winzige Zweiglein von Olivenkraut gab mit seiner würzigen Intensität diesem Gang einen deutlichen Genuss-Akkord.

Witzig fand ich die Bezeichnung des nächsten Ganges: „Kleiner Eintopf vom Hummer“. Auch wenn der Titel rustikal anmutete, war die Eleganz dieses Gerichts für mich umwerfend. Gerade der Kontrast der grünen Bohnenkerne mit dem milden Hummerfleisch ließ erahnen, welche Dimensionen ein solcher Eintopf, bereitet von Meisterhand, annehmen kann.

Tranche vom Steinbutt aus Loctudy mit gereifter Avocado, Orange, Estragon und Zitronenthymian-Aufguss
Tranche vom Steinbutt mit gereifter Avocado, Orange, Estragon und Zitronenthymian-Aufguss
Rehrücken aus der Eifler Jagd mit Foie Gras und gesalzenen Aprikosen,  Lardo, Pistazie und reduzierter Wild-Sauce mit Argan-Öl und Wacholder

Selten habe ich einen zarteren Steinbutt gegessen als an diesem Abend. Ein Aufguss von Zitronenthymian gab dem luftigen Gericht eine wunderbar blumige Note. Dem heimischen Forst verdankten wir danach ein fantastisches Rehgericht. Clemens Rambichler kredenzte eine wunderbar sanfte Tranche vom Rücken, kombiniert mit kontrastierenden salzigen Aprikosen, Gänseleber und feinstem Lardo. Andächtig und still konzentrierte ich mich zu guter Letzt auf einen Reigen feinster Desserts und den süßen Abschluss.

Eine persönliche Anmerkung von mir: Für die „Kleine Torte vom Rinderfilet-Tatar auf knusprigem Kartoffelrösti mit N25 Caviar »Selection Sonnora«“ habe ich mich nicht entschieden. Das Signature Dish von Helmut Thieltges steht noch immer auf der Karte. Allein rohes Fleisch und Kaviar sind nicht mein Geschmack. Ich versuche, an der Aufgabe zu wachsen. Auf ein nächstes Mal 😊!

Marinierte Mara de Bois-Erdbeeren und Fromage Frais „ Chèvre“  mit Sabayone von Basilikum und altem Marsala „Superiore Riserva“
Marinierte Mara de Bois-Erdbeeren mit Sabayone von Basilikum und altem Marsala

Der Solitär

Zum Schluss unseres Gesprächs frage ich Clemens Rambichler, was seine persönliche „Tellerhandschrift“ sei. Er antwortet:

„Die Speisen müssen Solitäre sein. Jeder muss seine ganz eigene Strahlkraft besitzen.“

Jeder einzelne seiner Solitäre trug an diesem Abend zu einem Gesamtkunstwerk bei. Das Diadem aus Solitären, das einst nach Siegen gefertigt wurde, ersetze ich in der Disziplin für herausragende Küchenmeisterschaft durch einen geflochtenen Lorbeerkranz!

Zurück