An die Wand gesprüht
Tellerhandschrift. Christian Bau
... ich für einen Abend im Sternenhimmel war.
Ein Besuch auf Schloss Berg an einem romantisch schönen Herbsttag.
Christian Bau hat alle Ebenen der Auszeichnungen erreicht. Der Feinschmecker kürte ihn 1998 zum „Aufsteiger des Jahres“ und 2005 zum „Koch des Jahres“. In Rekordabfolge erhielt er den ersten, den zweiten und 2005 nach rasant sich überschlagenden Ereignissen den dritten Michelinstern. Er hat ihn bis heute. Wenn man auf den hochdekorierten Koch trifft, kann man seine Bescheidenheit kaum fassen. Der ernsthafte und zurückhaltende Mensch hält sich nicht für einen Star. Seine Produkte stehen für ihn an erster Stelle und entsprechend aufmerksam und achtsam geht er mit ihnen um. Das ist eines seiner Erfolgsgeheimnisse, jedoch längst nicht das Einzige. Ein stimmig ineinandergreifendes Bouquet von Können und Visionen macht seine Küche unverkennbar und einzigartig.
Auf dem Olymp unter Beobachtung
Mit drei Sternen den Kocholymp zu erreichen, bedeutet ein Leben veränderndes Ereignis. Der Erfolg macht stolz, doch mit dem Erfolg wächst der Druck. Plötzlich sitzt das Restaurant voller Tester, Kollegen und Journalisten, die im Sinn haben, Augen- und natürlich Gaumenmaß zu nehmen. Welche kulinarischen Wunder zu vollbringen ist das hoch gelobte Ausnahmetalent in der Lage, wollen alle wissen. Steht ihm die Auszeichnung in bisher nie gekannter Taktung aus Sicht der Konkurrenten zu? Der junge Christian Bau gerät in den prüfenden Fokus der Gastronomie-Szene mit ihrer teilweise bissigen Entourage. Hat einer Erfolg, hat er Neider. Und Neider sind in aller Regel nicht wohlgesonnen. Der „Neider“ gönnt nicht und möchte mindestens Gleiches besitzen, sagt nicht nur die Definition, sondern lehrt auch das Leben. Da wird nach dem vermeintlichen „Haar in der Suppe“ gesucht.
Der Makrokosmos auf dem Teller
Christian Bau vollbringt mit seinem rund 20-köpfigen Team aus meiner Sicht tagtäglich Wunder. Wer die perfekt präsentierten Speisen anschaut, dem fällt es schwer, die Kunstwerke zu zerstören. Obwohl bunt und fantasievoll, wirken die Kreationen klar überlegt, wie von einem Architekten entworfen. Ich beobachte an mir, dass auf die Überwindung zum Zerstören dieser Kunstwerke die Ekstase folgt, und erlebe dieses Gefühlsbad, ohne es im Einzelnen zu verstehen. Ich will alles bis auf das letzte Detail in mir aufsaugen. Das funktioniert jedoch nicht, denn der Details sind es viele. Neben den Hauptkomponenten spielt jedes Bett, jeder Geltupfer und jedes Kresseblättchen eine Rolle. Ich verabschiede mich von der Konzentration auf Einzelheiten und lasse die Analyse sein – hier geht es nicht darum, die Schöpfungen mit dem Verstand zu erkunden. Nach wenigen Gängen ist man süchtig – Genuss-süchtig. Mein Wille zur Klarsicht hat keine Bedeutung mehr, denn da liegt „mehr“ vor mir.
Ein „Bau-Erlebnis“
Während der Pausen zwischen den Gängen kann ich mich kaum sattsehen an dem harmonischen Ambiente im Restaurant. Gediegene Wärme durch einen großen Kamin und eine kunstvolle Holz-Kassetten-Decke, anmutig gedeckte Tische und die minimalistische aber kunstvolle Dekoration werden von geschickt platzierter, dezenter Beleuchtung in Szene gesetzt. Schon beim Eintreten fühle ich mich rundum wohl, nehme mit erwartungsfrohem Herzen auf der halbrunden Polsterbank Platz, genieße meinen prickelnden Aperitif mit „tete Japan Botanicals“ und freue mich auf die kommenden Stunden.
Ich dachte, ich erlebe an diesem Abend meine nächste kulinarische „Challenge“, doch ich fand mich in einem mir bislang unbekannten Universum wieder. Und sogleich habe ich eine Frage an dieses von mir sehr ernst genommene Universum, denn das „Bau-Erlebnis“ ist mit anderen Erlebnissen in dieser Liga nicht vergleichbar: Welche Unterschiede sind möglich zwischen drei Sternen und drei Sternen?
Der bescheidene Kämpfer
Wie kann man eine solche Fertigkeit der Kochkunst, über die nur wenige verfügen, hervorbringen? Christian Bau erzählt von seinen Stationen mit hochkarätigen Küchenchefs, bei denen er wesentliche Grundlagen und die Akribie einer feinen Küche erlernt hat. Letztlich aber entscheiden konsolidierte Erfahrungen und Persönlichkeit über den Kochstil, der sich stetig weiterentwickelt. Was Bau ausmacht und heraushebt, ist aus meiner Beobachtung einerseits ein unbeirrbarer Wille zum Sieg, denn der Kämpfer ist zu erkennen. Er kämpft nicht mit Getöse, sondern mit Intelligenz, Energie und Achtsamkeit. Er hat sich mit kontinuierlichem Einsatz, Fleiß und Zähigkeit über Jahrzehnte eingebracht. Er will nicht „den halben Sieg“, er will gewinnen. Der Gegenpart, der ihn so stark macht, ist seine Bescheidenheit, seine Demut vor Produkten und Handwerk aber auch eine aus tiefem Herzen kommende Freude an seinem Schaffen. Der Moment, in dem er von dieser Freude spricht, trifft einen wie ein energetischer Kick. Die Passion ist spürbar.
Innehalten im Erfolg
Entscheidend für Baus heutige Kochphilosophie ist ein Jahre zurückliegender persönlicher Einschnitt und eine Neuausrichtung in seinem Schaffen als Spitzenkoch. Der Präzisionsmensch wurde vom Sterne-Erfolg und den damit verbundenen an ihn herangetragenen Erwartungen unter Druck gesetzt. Er war bereit, alles zu geben. In seiner Küche begab er sich auf den Weg zum Beinahe-Workaholic. Außerhalb sah man ihn kaum, denn er hatte „zu tun“. Was das denn für einer sei, der die zahlreichen Preise, die man ihm angedeihen lässt, nicht persönlich entgegennimmt, fragte sich die Öffentlichkeit. Sie verstand nicht und stellte die üblichen klischeehaften Fragen, um Christian Bau in eine Schublade stecken zu können. Überheblichkeit und Arroganz dichtete man ihm an. Eine skalierende Einordnung musste her, und ihn traf das schnelle, offene Urteil: „Was glaubt der denn, wer er ist!?“ Die unausgesprochene Antwort war, dass er in seiner Küche das Beste zu geben hatte, denn viele Erwartungen, natürlich auch wirtschaftliche, lagen auf seinen Schultern. Die Meinung der Allgemeinheit war jedoch, dass er sich zu zeigen hat. Bau ist aber keiner, der sich gerne in der Menge badet. Weiterer Druck entstand.
Auf dem Weg – „Ganz oder gar nicht“
Er zieht – am Rand seiner Kräfte angekommen – die Reißleine und setzt alles auf eine Karte: Ihm geht es ums Ganze. Seine Geschäftsführung überzeugt er von einem völlig neuen Weg. „Ganz oder gar nicht.“ Meiner Meinung ein starkes Statement, das ihn treffend charakterisiert. Er will, dass es zu hundert Prozent passt. Und das schafft er schließlich mit einem klaren Ziel vor Augen und ruhig eingesetzter Beharrlichkeit. Sein Wesen greift sich Raum, denn er lässt sich von eigenen Überzeugungen und letztlich nicht von der Erwartung Dritter leiten. Er wendet sich der japanischen Küche zu, holt Wagyu und Yuzu ins Land, wo doch bislang das Rind von der Weide nebenan und die Zitronen aus Italien gut genug waren. Auf Reisen lernt er die Klarheit und Fokussiertheit der japanischen Küche kennen und verfällt ihr. Er „erfindet“ im Laufe der Jahre die atemberaubende, zwei völlig unterschiedliche Kulturen verbindende Küche, die die Welt derzeit staunend und völlig neu inspiriert als Menü „Paris – Tokio“ genießen kann. Mit einfühlsamer Hinwendung zu den Produkten, klar strukturierter Herangehensweise, kompromissloser Perfektion und untrüglichem Instinkt für das Kombinieren allerbester Zutaten führt Christian Bau beide Welten zusammen.
Ohne Dinner-Jackett zum Dinner
Bau schneidet alte Zöpfe ab und verpasst dem Restaurant ein neues Erscheinungsbild. Gibt Tischdecken auf und setzt stattdessen auf blankpoliertes Holz. Den Service kleidet er leger und ersetzt Klassik durch Musik, die er auf seinem iPod hört. Er folgt seinen Visionen und lässt sich nicht beirren. Gäste, die den Auftritt in Cocktailkleidchen und Dinner-Jackett schätzten, reagierten irritiert bis geschockt, schien ihnen doch die Umgebung nicht mehr passend. Es gab jedoch auch Gäste, die das anders sahen. Diese Sichtweise wurde erfrischend schnell von Vielen angenommen, was Baus grundlegende Veränderungen voll bestätigte. Der Zeitpunkt war offensichtlich richtig gewesen, Überholtes, somit Überfälliges zu justieren. Neues, aufgeschlossenes Publikum pilgerte alsbald in langen Schlangen zum Schloss.
Eine Geschichte in der Geschichte
Die Frage, wie Christian Bau zum Kochen kam, kann nicht ausbleiben. Nun erzählt er seine Geschichte: Der junge Bau spart auf ein Essen in der „Aubergine“, Eckart Witzigmanns legendäres Kultrestaurant der Achtziger in München. Er verspeist dort Hummer und kommt zur Erkenntnis, „dass Hummer genauso schmecken muss und die Tiefe der Sauce die perfekte Ergänzung ist“. Der Hummer des „Gottvaters der Köche“ führte ihn ohne Umschweife, mit klarer Ausrichtung, in die – wie er sagt – genau richtige Berufswahl.
Ich trage den Geschmack dieses Hummers unauslöschlich in mir.
Ich verstehe, was er meint, denn genau dieses Unauslöschliche vermag auch er Speisen zu verleihen.
Diese Erzählung könnte ebenfalls in die Geschichte eingehen, weil zwei ganz große Köche aufeinandertrafen. Der eine ist bereits hochdekoriert, der andere ahnt noch nicht, dass auch er einmal ganz oben ankommen wird. Dem einen werden als erstem Koch in Deutschland drei Sterne verliehen, später folgt der Titel „Jahrhundertkoch“. Der andere erhält in Rekordzeit ebenfalls drei Sterne, und auch er wird sein Jahrhundert prägen. Er entwickelt sich zum Botschafter der Hochküche, wird zum „Ehrenbotschafter der japanischen Küche“ und vom Bundespräsidenten mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. So kann es kommen!
Ein Geschmacksdenker in der Küche
Wir unterhalten uns über Küchenhandwerk. Er sieht sich als Handwerker. Ich sehe ihn als Kochkünstler, und wenn ich später über die Kreationen seines Menüs erzähle, wird sich erschließen, welche Kriterien für diese Einordnung ich zugrunde lege. Ich drücke meine Bewunderung für die Teller aus. Er – ehrlich, bescheiden – entgegnet, auf die fantastische Endpräsentation komme es nicht allein an. Ich sage: „Das stimmt, aber aus meiner Sicht ist es die Intelligenz zwischen Handwerk und Präsentation, die Durchdringung der Produktharmonie, auf die es letztlich ankommt.“ Er schaut und erzählt, ein Journalist habe ihn einmal gefragt, ob er Geschmack „denken“ könne. Und ob, denke ich, denn die Komponenten, die er miteinander verbindet, kennt er, als seien sie den Tiefen seiner Seele entsprungen und in einer Festplatte in seinem Kopf auf ewig gespeichert.
Degustation im Überblick
Fern der Restaurantkritik – so weit wage ich mich nicht in die Materie – komme ich jetzt kurz auf das Menü zu sprechen. Aus meiner Sicht eine Abfolge von einzigartigen, unterschiedlichen doch in sich vollkommen stimmigen Kreationen. Ich bringe es überschwänglich, aber ehrlich begeistert auf den Punkt: eine Sensation, und ich würde die hundert Kilometer von meinem Zuhause zum „Victor’s FINE DINING“ dafür zu Fuß gehen. Meeresfrüchte von frischester Qualität paarten sich mit sie in den kulinarischen Himmel hebenden Zugaben, wobei keine die andere überdeckte, sondern Komponenten auf den Tellern sich unterstützten.
Ich hatte den Eindruck, der Tuna und Wasabi-Ponzu tanzten einen Reigen. Im Inneren versteckte sich ein Tatar von dem saftigen Fisch, außen herum waren die Scheiben arrangiert, als würden sie das feine Innere umarmen. Der rote Gamberoni mit Blumenkohl und Yuzugel war mit einer Genialität präsentiert, die mich nach Worten suchen lässt. Ich dachte, dem Tierchen könnte mehr Ehre nicht zu Teil werden. Frischen Steinbutt, begleitet von Aubergine in zwei Konsistenzen, krönten hauchdünne Scheiben vom Steinpilz. Eine traumhaft schmelzige Scheibe Wagyu, beträufelt mit einer Sauce aus winzigen Würfelchen vom „Palmherz“ und einer vor Umami-strotzenden Essenz aus „Black-Beans“ machte uns glücklich. Bau sagt
Ich will den Gast glücklich machen.
Und ich sage der Welt: „Das vermag er!“
Multilevel-Begleitung
Zu allen Gerichten genießen wir die passenden Weine. Spitzen-Sommelière Nina Mann präsentiert sie nicht nur mit größter Kompetenz, sondern ist auch mit kleinsten Details auf den Tellern vertraut. Sie bringt mit überzeugender Sachkenntnis Speisen und begleitende Weine zusammen und gibt uns das Gefühl, als täte sie nichts lieber, uns durch das Glück bereitende Menü zu begleiten. Und wir lernen, während wir genießen, denn wir erhalten interessante Hintergrundinformationen, die neue Perspektiven ermöglichen!
Der gesamte Service betreut uns mit größter Aufmerksamkeit, strahlt dabei Coolness und gelassene Perfektion aus. Alle sind omnipräsent, ohne in den Vordergrund zu treten. Das professionelle Fingerspitzengefühl, den Gast individuell abzuholen und zu begleiten, ist in diesem Restaurant unübertroffen. Man hat Auge und Herz für die Schüchternen, die Angeber und die Kulinariker. Auch an dieser Stelle halte ich fest, nichts Vergleichbares erlebt zu haben.
Wer weiß, wie weiß?
„Weiß auf Weiß“ das perfekt schmelzige Galgant-Jasminreis-Eis-Dessert, lässt einen sinnbildlich geradezu leise betend danken. Es erntete von den Gästen „Ah“ und „Oh“. An diesem Abend hörte ich oft bewunderndes Raunen von den Tischen, manches Mal auch spitzige Ausrufe der Verzückung. Ich hörte „unfassbar“, „perfekt“ und „göttlich“. Ich erfinde nichts, sie haben es so und nicht anders gesagt! Ich schließe mich allem an.
Gute Nacht
Ich habe eine kulinarische Offenbarung erleben dürfen, und ich mag nebenan in dem bequemen Hotelbett nicht einschlafen, weil ich jede Minute noch einmal nacherleben möchte. Mein Rekorder spult unermüdlich hin und her. Ich höre des Nachts neben mir: „Mann, Mann!“ und weiß, dieses Ereignis werde nicht nur ich nicht vergessen.
Wenn ein Feinschmecker glücklich gemacht werden möchte, soll er sich von Christian Bau bekochen und von seinem Team verwöhnen lassen! Hinter den schweren Holztüren, die in das Restaurant führen, erwartet einen so etwas wie die Vorstufe zum Himmel!