An die Wand gesprüht

Stachelbärte und Samthauben

 

 

Warum

... ich mich an ei­nem kal­ten Win­ter­tag in ei­nen dunk­len Stol­len wag­te.

Anlass

Ich woll­te mehr über ei­ne „Edel­pilz­zucht“ er­fahren.

Etwas Besseres kann einem ehemaligen Luftschutzbunker nicht passieren. Wo damals Menschen zusammengepfercht um ihr Leben bangten, während es draußen krachte und rumste, gedeihen heute edle Bio-Pilze. Die Pilze wachsen friedlich in erhabener Stille in den Gewölben des Stollens. Sie haben es gut dort, bei Mirko Kalkum. Er sorgt täglich dafür, dass sie genügend Feuchtigkeit, Licht und Luft bekommen. Kein leichtes Unterfangen, tief im Berg. Ich erzähle heute von einem leidenschaftlichen Pilzversteher und seinen Schützlingen.
Stachelbart (Pompom blanc)

Man muss genau wissen, wo der Höhleneingang der Edelpilzzucht ist, sonst fährt man an der unspektakulären Tür vorbei. Als ich die Höhle betrete, habe ich sofort das Gefühl, an einem besonderen Ort zu sein. Mit jedem Schritt, den ich den schmalen Gang entlanglaufe, habe ich den Eindruck, in etwas Unbekanntes vorzudringen. Und mit jedem Schritt wird es an diesem frostigen Januartag in der eiskalt geglaubten Höhle wärmer. Und stiller.

Vorher dachte ich, ich würde mich unbehaglich fühlen. Stattdessen spüre ich Neugier und bin mir sicher, dass dies ein besonderes Erlebnis wird. Ich  rufe nach Herrn Kalkum und werde herzlich begrüßt. Was ich über ihn wusste: Er ist Diplom-Biologe, genau gesagt Molekularbiologe. Er züchtet Bio-Pilze, die ihm seine Kunden aus den Händen reißen. Er soll, da sind sich „alle“ einig, ein netter Zeitgenosse sein. Was ich jetzt weiß: Er ist deutlich mehr als nett. Unfassbar engagiert für seinen Beruf, den er zwar momentan nicht ausübt, der ihn jedoch nachhaltig infiziert hat. Er ist ein Forscher durch und durch. Nur, dass er derzeit nicht im Labor forscht, sondern in den Reppersberger Höhlen. Die Aufzucht von Pilzen ist nun seine Passion, eine Wissenschaft für sich. Forschen am lebenden Objekt, im Wissen, dass falsches Justieren nur einer einzigen Komponente deren Prosperieren in Gefahr bringt.

 

Großfamilien im Stollen

Der Gang durch die Gewölbe ist beeindruckend. Ich höre nichts als unsere Schritte, und dort wo es sandig ist, noch nicht einmal die. Die Pilze sind in drei Seitenstollen untergebracht. Sie sind sensible Persönlichkeiten und jede hat ihren eigenen Anspruch an Feuchtigkeit, Temperatur und Sauerstoff. Diejenigen, die ein wenig mehr Luft benötigen, stehen näher am Eingang. Die Kräuterseitlinge sind mit ihrer üppigen Körperfülle und den kecken braunen Köpfchen, die an eine straff übergezogene Baskenmütze erinnern, allerliebst anzuschauen, denn von ausgewachsen bis ganz winzig stehen sie wie eine Großfamilie im Verbund miteinander. Die „Kinder“ sind allen Alters und versammeln sich quasi zu Füßen der Großen. Das feste, leicht wattige Fleisch hat ein ganz zartes, feines Pilzaroma. Die Austernpilze wachsen in üppigen Büscheln aus ihrem Substrat. Oben tragen sie cappuccinobraune, geschwungene Hüte, die hellen Lamellen darunter ähneln den streng gefältelten Hälsen von Schildkröten. „Seitlinge“ heißen Seitlinge, weil sie seitlich aus dem Totholz wachsen. Ihre Köpfe wachsen schräg, weil sie sich den Stellen mit dem meisten Lichteinfall zuneigen. „Wendige Dinger“, denke ich und muss schmunzeln.

 

Von Stachelbärten und Samthauben

Ich bin ergriffen von der Schönheit der Pilze. Sie strahlen etwas Archaisches aus, wie sie so stumm und beinahe mystisch in den Regalen stehen. Der wabernde Nebel um sie herum, in der Höhe die unermüdlich sich beinahe lautlos drehenden Propeller zum Verteilen der Luft. Schon ein wenig gespenstisch. In den fast unwirklich anmutenden Gewölben überkommt mich Andacht, und ich staune darüber, dass Pilzkörper eine Art von Würde ausstrahlen können. Die Limonenseitlinge leuchten in kraftvollem Gelb und die makellosen weißen Buchenpilze könnten als Sinnbild für Reinheit stehen. Die Goldkäppchen duften nach Aprikose und ein klein wenig nach Marzipan. Ihrem Namen Ehre machen die Samthauben, denn wenn man ihre dunkelbraunen Köpfchen berührt, denkt man an: samtene Hauben! Die Italiener nennen diesen bezaubernden Pilz liebevoll „Pioppino“ und feiern ihn als Delikatesse. Das kann ich unumwunden bestätigen. Er erinnert geschmacklich an Maronen, ist herrlich waldig und bekommt Pepp durch ein leichtes Pfefferaroma.

Beim Anblick des Igel-Stachelbarts bleibt mir einen Augenblick lang der Mund offen stehen. Als Mirko Kalkum so ein feingliedriges Gebilde, das mich an filigranste Korallen denken lässt, vorsichtig abzupft und mir in die Hand legt, erwarte ich einen kleinen Moment, dass es lebendig ist und zuckt. Es ist ein relativ weit verbreiteter, jedoch seltener Pilz, der auch Affenkopfpilz oder Löwenmähne genannt wird. Unsere französischen Nachbarn schießen mit ihrer Fantasie den Vogel ab, denn sie tauften ihn „Pom-Pom blanc“ (weißer Bommel). Die Japaner gaben ihm den Namen „Yamabushi“ und hängten, wie an alle ihre Pilze, z. B. den Shiitake oder den Enokitake das Wort für Pilz, „Take“ hintendran: „Yamabushitake“.

 

Aus der Zeit gefallen

Mirko Kalkum erzählt mir, dass viele Pilze Bitterstoffe ausbilden, damit sie nicht gegessen werden. Sich zu schützen versuchen durch Abschreckung. Denn beißt man in etwas stark Bitteres, assoziiert man automatisch, dies könne giftig sein. Das hatte ich noch nie gehört: Ein Pilz, der durch Antäuschen sein Leben verteidigt! Ich lerne, dass Pilze darüber hinaus nicht nur heikel, sondern äußerst vital sind. Bei genauem Hinsehen sieht man flächendeckend helle flaumige Partikel liegen, die Pilzsporen. Allzu viele davon sollte man nicht einatmen, denn sie bekommen der Lunge nicht. Ich muss kurz husten: War das jetzt schon so eine Spore in meinen Lungen? 😳. In den Gängen lagern die Substrate für die Zucht in Polyäthylen-Beuteln. Obwohl sie recyclebar sind, boten sie den Nachbarn schon Anlass zur Kritik. Hielt man sie doch für Plastikabfall, der auch noch zu Hauf produziert würde! Die Kulturen bekommen von Kalkum zum Beenden der Ruhezeit schon einmal einen kräftigen Klaps, damit sie aufwachen und ihren Nachwuchs bilden. Am Ende „seines“ Stollens stehen wir schließlich vor einer massiven Mauer neueren Datums. Dahinter, höre ich, leben Schwärme von Fledermäusen in dem Teil der Höhle, aus der man mitten im Wald ans Tageslicht tritt. Die Tiere stehen unter Naturschutz, und ich denke zum zweiten Mal, wie sich doch das Bevölkern des ehemaligen Bunkers zum Positiven gewandelt hat. Ich erlebe in diesem Stollen verrückte Dinge! Dinge, die mich nachdenklich machen. Und ich habe begriffen, was Mirko Kalkum meint, wenn er sagt: „In der Höhle vergesse ich die Zeit.“

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