An die Wand gesprüht

Senf vom Berghof

 

 

Warum

... ich mehr über Senf wis­sen woll­te. Schnell aus dem Glas, schnell aus der Tu­be. Doch was steckt da­hin­ter?

Anlass

Ein Be­such auf ei­nem Hof, der Öle und Sen­fe selbst er­zeugt. Mit ei­ge­nen Saa­ten. Da woll­te ich hin!

Alle essen ihn, die wenigsten wissen etwas über ihn. Was man weiß, ist: Er kann mild, scharf und süß sein. Und dass er sich wahlweise in Tube oder Glas präsentiert. Die riesigen Plastik-Spender an den Imbissbuden erwähne ich an dieser Stelle nicht! 😖. Erfreulich ist, dass es immer mehr Senfmanufakturen gibt, die sich nicht nur des uralten Handwerks besinnen sondern die Senfsaaten in der Region anbauen. Man muss sie nicht aus Kanadas Prärien herbeischaffen!
Traktor auf dem Berghof, Einöd

In den letzten Jahrzehnten bedienten fast ausschließlich industrielle Senfanbieter den Markt. In gefühlt jedem Haushalt findet sich die gelbe Würzpaste mit Heil- und Suchtpotenzial. Seit ich denken kann, darf Senf auf keiner Bratwurst, zu keinem Bockwürstchen, zu keiner Frikadelle fehlen. Glaubenskriege gab es darüber, welcher Scharfmacher der bessere sei: „Thomy“, „Amora“, „Düsseldorfer“. Das war's dann auch schon. Der „Bautz’ner“ fand erst später den Weg in den Westen. Die Senfmühlen und Manufakturen aus dem letzten Jahrhundert wurden verdrängt. Konnten zwar hohe Qualität anbieten, jedoch dem Preisdruck der Großen nicht standhalten. Die Zeiten haben sich geändert und die Menschen wissen das Individuelle wieder zu schätzen. Kleine Manufakturen sprießen wieder für Senf, für Öl. Fast jede Region hat ihre eigenen Erzeuger. Die Vielfalt lebe hoch! Ich habe kürzlich eine Öl- und Senfmühle in der Biosphäre Bliesgau besucht und einmal mehr gestaunt, mit wie viel Mut, Ausdauer und Kreativität Menschen ihren Weg gehen und für ihre Ziele einstehen. Und wie aus alten, fast vergessenen Ölsaaten Feines entsteht. Die „Öl- und Senfmühle Berghof Einöd“ bringt den Segen und den Geschmack der Region in Glas und Flaschen!

 

Öl und Senf – Hand in Hand

In der Mühle arbeiten Bruder und Schwester Hand in Hand. Hans Pick baut die Saaten auf den hügeligen Feldern um den Hof herum an. Presst herrliche Öle aus Sorten, die längst in Vergessenheit geraten waren. Die filigrane „Camelina sativa“ wurde wiedergeboren und liefert köstliches Leindotter-Öl, das ein wenig nach Erbsen und grünem Spargel schmeckt. Ganz zu Anfang war auf dem Hof die Mariendistel am Start. Sie kuriert nicht nur strapazierte Lebern sondern auch schwächliche Sittiche und Tauben. Hinzu kamen im Laufe der Jahre Blaumohn, Hanf, Schwarzkümmel, die Nachtkerze und andere Artverwandte aus der Ölfamilie. Nicht zu vergessen, der Senf. Aus dem Senf wird ganz mildes, überhaupt nicht scharf schmeckendes, goldenes Öl gepresst. Es ist über die Maßen antibakteriell und immunsystemfördernd. Wir pimpen damit morgens unseren frisch gepressten Gemüsesaft, damit er zur Hochform auflaufen kann. Erst der Saft und dann wir! Marliese Weizel, die Schwester, widmet sich dem Thema Senf. Hat als Autodidaktin angefangen und sich weit in das komplexe Thema hineingedacht. Nun ist sie versierte Ölmüllerin, und weil sie davor auch schon einmal Köchin gelernt hat, versteht sie es, einen vortrefflichen Geschmack in ihren Senf zu bringen.

 

Senf – ein vielseitiger Begleiter

Kalt gemahlener Senf ist ein sehr hochwertiges Lebensmittel und unfassbar vielseitig einsetzbar. Die ätherischen Öle bleiben durch die schonende Vorgehensweise weitgehend erhalten. In meiner Küche spielt Senf generell eine sehr präsente Rolle. Ich habe immer mehrere Sorten da, der ungekrönte König in meinem Senfregal ist jedoch der „Dijon-Senf“. Von der Bauern- bis zur Sterneküche: Er ist unverzichtbar! Dijon-Senf ist sehr scharf, sehr gradlinig, damit universell zu verwenden, wirkt schon in kleinen Mengen Wunder. Er belebt die Speisen, gibt ihnen einen Kick. Nicht allein durch die Schärfe sondern auch durch das Säure-Süße-Spiel. Aber er kann mehr als Geschmack: Fast in alle meine Salatdressings wandert er, denn er macht sie cremig, weil er beim Emulgieren hilft. Senf ist ein natürliches Verdickungsmittel, das überall vorkommt, selbst dort, wo man ihn nicht vermutet. Zum Beispiel in Aufstrichen, Saucenbindern und in unzähligen Fertiggerichten. Senfpralinen aus einer leicht mit Senf parfümierten Ganache findet man in Confiserien, und auch auf den Patisserie-Wunder-Tellern der gehobenen Restaurants. Senf und Sahne sind ein Traumpaar.

Scharfe schwarze Samen aus Dijon

Der Dijon-Senf hat eine lange Geschichte. Wie sich leicht vermuten lässt, hat der waschechte Burgunder seinen Namen von der Stadt Dijon. Das Besondere: Durch die Beimischung schwarzer Senfkörner wird er besonders scharf. Helle Senfkörner sind weniger scharf als die braunen, schwarze kommen jedoch nur selten zum Einsatz, weil sie aufwändiger anzubauen und zu ernten sind. Eine weitere Besonderheit des Dijon-Senf ist der Verzicht auf Branntweinessig, der seinerseits etwas Beißendes an sich hat. Zum Säuern dient stattdessen der für die Region typische „Verjus“, ein Saft aus unreifen Trauben. Dijon-Senf darf sich auch „Dijon-Senf“ nennen, wenn andernorts produziert wird. Vorausgesetzt, die verbriefte Rezeptur wird befolgt. Auch der „Düsseldorfer Löwensenf“ basiert auf dieser Rezeptur. Der wollte jedoch seinen eigenen Namen tragen und sich auf diese Weise selbstbewusst eine deutsche Identität verpassen. In Dijon selbst wurde lange Jahre überhaupt kein Senf mehr gemüllert. Derzeit etabliert sich im Burgund die Zunft der „Moutardies“ neu. In der Region sprießen wieder filigrane Senfpflanzen. So etwas macht mich glücklich. Immer wieder kommen die Menschen auf das zurück, was gut war und gut bleibt!

 

Von links nach rechts

Vor der Kasse aufgebaut stehen von links nach rechts: Leinsamen, Hanf, Leindotter, Blaumohn, Schwarzkümmel, Nachtkerze, Buchweizen, Mariendistel und Senf. Eins, vier, sieben und neun kannte ich immerhin! Ich bin sehr zufrieden nachhause gefahren.

 

Mit Gebell vom Berghof

Auf dem Berghof lebt die ganze Familie zusammen. Großeltern, Kinder und Kindeskinder unter einem Dach. Ich möchte nicht von Idyll reden, das scheint mir überstilisiert. Mir ist klar, die Arbeit auf dem Hof und in der Mühle sind kein Zuckerschlecken. Aber es fühlt sich alles so richtig an, als wir über die lange Höhenstraße vom Gehöft zurückfahren. Durch Felder und Wiesen, die Herbstbäume wie skurrile Schemen in der untergehenden Sonne, der Himmel ein Drama! Die beiden betagten Hofhunde, ein Schäferhund und ein zottiges Wesen, in dem Teile eines Briards stecken mögen, gehen gewissenhaft ihrer Pflicht nach. Als wir kamen, bellten sie eine Weile routiniert und trollten sich alsbald. Nun begleiteten sie uns, ebenfalls bellend, vom Hof. Keinen Schritt weiter, als bis zum offenen Tor. Noch ein, zwei „Wuff“, Schwanzwedeln zum Abschied, dann kann auch für sie der Feierabend kommen.

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