An die Wand gesprüht

See sehen

 

 

Warum

... ich so sehr vom Bodensee schwärme.

Anlass

Die Empfehlung einer Kollegin vor vielen, vielen Jahren für ein neues Urlaubsziel.

Oder „See sehnen“. Ich jongliere mit der Überschrift des Beitrages hin und her. Ich habe gelernt, die Themen auf den Punkt zu bringen, was in diesem Fall nicht einfach ist. Ich sehne mich nach „meinem“ See und ich will ihn endlich einmal wieder sehen und seinen Spirit inhalieren. Die obligatorischen Aufenthalte im Frühling und Herbst hatten wir abgesagt. Alle anderen Aufenthalte, die ansonsten sporadisch dazwischen stattfinden, ebenfalls. Und wie es in diesem Frühling werden wird, wissen wir nicht. Ich habe gelernt, mit der Entbehrung klar zu kommen. Das ist nicht leicht, jedoch machbar! Ich fürchte: Den See werde ich so schnell nicht wiedersehen.
Skulptur am Bodensee (Wasserburg)

Für mich ist der Bodensee das „Paradies auf Erden“. Ich glaube, das mit der Schöpfung ging so: Bevor der liebe Gott sich an das „Große und Ganze“ machte und die komplette Erde erschuf, legte er zunächst ein Modellprojekt an. So, wie das viele tun, die „Großes“ bauen. Zur Sicherheit, damit die Planung nicht verrutscht. Damit eventuelle Schwachstellen unmittelbar zu erkennen wären. Da er bisher nur das Paradies „da oben“ kannte, versuchte er sich an diesem wunderschönen Fleck Erde und richtete sein Schaffen danach aus. Er legte zunächst einen großen See an, denn – wie man weiß – ist Wasser der Quell allen Lebens. In ihm, dem See, schwamm eine Vielzahl von Fischen, die allesamt prächtig gediehen und köstlich schmeckten. Der Felchen ist mein „Schwarm im Schwarm“ 😉

Schöpfung im Detail

Bäume im Arboretum (Insel Mainau)

Dem Schöpfer gefiel sodann der Gedanke, dass es in diesem See Inseln der Fruchtbarkeit und Erbauung geben müsse. Kleine eigene „Welten“, die er nach seiner Eingebung gestalten würde. Also schenkte er dem See-Universum zunächst eine große, sehr fruchtbare Insel. Auf dieser wuchsen mit den Jahren alle erdenklichen Gemüsesorten, prächtige Salate, Kräuter und natürlich Obst. Eine Abtei zur Pflege des seelischen Wohlbefindens durfte nicht fehlen. Eine weitere Insel sollte allein dem Pläsier und der Freude am Lustwandeln dienen. Auf ihr sind bis heute mächtige Bäume und eine bunte Blütenpracht zu bestaunen, soweit das Auge reicht. Schmetterlinge schwirren umher, so zahlreich und schön, dass man ein ums andere Mal in Verzücken ausbrechen kann.

Dann baute er noch ein kleines, illustres Inselchen, auf dem man sitzen, das emsige Treiben im Hafen beobachten und den Blick auf die verschneiten Gipfel der Alpen genießen kann. Die Berge hatte er seinerzeit als Horizont und Rahmen erschaffen, auf dass der Anblick für den Betrachter vollkommen würde. Ich liebe diesen Anblick so sehr, dass ich ihn hinter eine große Glasscheibe gebannt, jeden Tag „vis-à-vis“ von meinem Schreibtisch aus stundenlang bestaunen kann. Manchmal komme ich ins Träumen und von der Arbeit ab …

Lindau Insel (Blick vom Hafen Richtung Süden)

Planung mit Umsicht im Detail

Apfelblüten

So weit, so prächtig der See. Nun kam das „Darum herum“ an die Reihe. Um den See sollten in einem besonders milden Klima Äpfel gedeihen. Viele schöne, köstliche Äpfel.

Und Trauben. Alle möglichen Sorten. Zum Essen. Aber nicht nur! Auch Gott kann nicht jeder Verlockung widerstehen. Es sollten herrliche Weine daraus gekeltert werden. Damit sie fruchtig und spritzig werden würden, reicherte er die Böden mit nährstoffreichen Mineralien an, damit sie den Früchten zu üppigem Wachstum verhelfen konnten. Und so kam es!

Weinberge bei Meersburg

In den letzten Jahren habe ich die Trauben und insbesondere den Müller-Thurgau aus Hagnau und Immenstaad für mich entdeckt. Schöne mineralische Note, wenig Säure. Da geht auch einmal ein Gläschen mehr!

Leib und Seele zusammenhalten

Fischteller mit grünem Spargel (Restaurant Kretzergrund, Kressbronn)

Während unserer Aufenthalte am Bodensee bin ich immer wieder von der lust- und doch gleichermaßen leidvollen Frage umgetrieben, was ich denn nun am liebsten essen soll. Ich bin ein Genussmensch durch und durch. Und ich liebe beinahe alles, was dort angeboten wird. Fische auf dem Teller, ob fangfrisch oder geräuchert, sind einfach unverzichtbar. Im Angebot auf den Speisekarten finden sich Reh, Hirsch und andere Waldbewohner, die aufs Köstlichste zubereitet werden. Allgäuer Weiderinder stehen in schöner Nachbarschaft vor der Tür und auch ihnen sollte man Beachtung schenken, denn sie haben ein ganz besonders würziges Fleisch. Es kann nicht ohne Wirkung bleiben, dass sie sich zeitlebens an saftigen Bergkräutern und frischer Luft erfreuen konnten.

Qual der Wahl

Ochsenbäckchen mit Selleriepüree (Wissingers im Schlechterbräu)

Doch die Palette des Köstlichen ist längst noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. Im Frühsommer kommt der herrliche Tettnanger Spargel ins Spiel und treibt meine Entscheidungsfindung bezüglich des Speisekartenangebots ins Quälende. Im August und September findet ein ähnliches Spiel des Abwägens statt, denn nun hat es Pfifferlinge und Steinpilze im Überfluss. Und nicht zuletzt gibt es das ganze Jahr über die herrlich frischen Gemüse von der Reichenau, die es mir angetan haben. Uff! Gewiss: Ich klage auf höchstem Niveau 😉. Und an dieser Stelle geht es „nur“ um die Kulinarik. Und den herrlichen Weißwein ließen wir bislang weitestgehend außen vor!

Der Schleier hebt sich

Fischboot bei der Insel Reichenau

Was für ein Schauspiel, wenn an Herbsttagen sich die Nebel gegen Mittag langsam auflösen. Immer klarer trittt die Umgebung hervor. Uns eröffnete sich bei unserem Besuch auf der Reichenau der Blick auf leise wogendes Schilfgras und den See, der still dümpelte, wie im Halbschlaf, dicht an dicht übersät mit schaukelnden Wasservögeln. Er begann, mehr und mehr von der Sonne beschienen zu glitzern, als sei er mit Riesendiamanten geschmückt. Und weiter in der Ferne, tauchte Land mit Bäumen wie aus dem Nichts auf: die Schweiz! Dieses Schauspiel durften wir nun täglich erleben. Mit wechselnden Standorten, stets mit hinreißenden Variationen und immer neuen Facetten. Ich für meinen Teil finde den Nebel verzaubernd und gleichzeitig geisterhaft.

Ansichtskarten verblassen

Gesättigt werden alle Sinne am schönen See, den ersten Besuch im Frühjahr sehne ich den Winter über herbei! Immer wieder denke ich, die ambitionierteste Ansichtskarte kapituliert vor der bezaubernden Landschaft vor Ort und um mich herum. Apfelbäume stehen pittoresk anmutend wie knorzige Skulpturen in Reih und Glied, winzig noch die Blättchen. Unterhalb der sanften Hügel glitzert Wasser graublau. Frühblüher stehen in üppiger Pracht und Blütenduft liegt in der Luft. Übermütig singen die Vögel aus voller Kehle. Pelzige Hummeln taumeln drall und brummend durch die Luft. Der Frühling am Bodensee ist faszinierend.

 

Graziles Hören

Die Einstimmung auf den Sommer hat es jedoch ebenfalls in sich. Ein erster Morgen im neu entdeckten, hochmodernen Ferienhaus am See weckte mich vor einigen Jahren mit einem unbekannten leisen Geräusch. Ich höre ein gemütliches, schläfriges „Goooh … Goooh …“. Das verhaltene Geräusch wird im Chor produziert, soviel war im Handumdrehen klar. Langsam steigert es sich, klingt erwartungsfroh, beinahe ein wenig drängend. Es hält mich nicht mehr im Bett, und ich spähe neugierig in den noch nicht ganz hellen Garten unter unserem Schlafzimmer. Wie aus dem Nichts rennt plötzlich völlig unerwartet eine Gruppe gackernder Hühner im Laufschritt von links nach rechts durchs Gelände, dann zügig zurück. Kurzer Stopp. Die Köpfe drehen sich in alle Himmelsrichtungen und checken offensichtlich, was so los ist. Einige Hühner heben dabei grazil einen Fuß an, als ließe es sich auf diese Weise konzentrierter lauschen. Mensch, das mach mal nach! Ich zähle sechs Hühner, drei weiße und drei schwarze mit grau gesprenkelter Mitte. Die weißen halte ich für Hennen, die schwarzen besetzen in meiner Fantasie die Rolle der Hähne. Warum die Dunklen spontan zu Gockeln werden, weiß möglicherweise mein Unterbewusstsein 😉.

Hühner im Garten

Hühner-Lyrik

Hühner machen eine Pause

Ich bin angefixt, das Wesen dieses Federviehs näher kennen zu wollen, das unser Ferienwohnung-Vermieter hält. Deswegen fange ich an, es zu beobachten. Bald stelle ich mir einen bequemen Stuhl auf meinen Observierungsposten, den Laptop auf den Knien. Immer wieder lese ich nach, wie sie so ticken, die Hühner. Warum sie tun, was sie tun. Der Liebste ermahnt mich besorgt, beobachtet er doch, dass ernst zu nehmendes Stalking Besitz von mir ergreift. Treffend übrigens beschrieb dieses Hühnertreiben Wilhelm Busch:

Frau Grete hatt' ein braves Huhn,
das wusste seine Pflicht zu tun.
Es kratzte hinten, pickte vorn,
fand hier ein Würmchen, da ein Korn.
Erhaschte Käfer, schnappte Fliegen
und eilte dann mit viel Vergnügen
zum stillen Nest, um hier geduldig
das zu entrichten, was es schuldig.
Fast täglich tönte sein Geschrei:
»Viktoria, ein Ei, ein Ei!«

Wilhelm Busch, Gedichte. Zu guter Letzt

Haben sie in ihrem Refugium ein letztes Ei gelegt, verbringen sie ihren Lebensabend mit Müßiggang. Eines Tages ziehen sie sich unter einen Busch zurück und das war es dann! Das Herrchen hat ein Herz für Hühner!

Herbst am Untersee

Nebel auf der Straße zur Insel Reichenau

Es ist Herbst geworden und da muss man an den Untersee: auf die Halbinsel Höri. Eine Bilderbuchlandschaft, ein stilles Kleinod, das noch immer ein Geheimtipp ist. Auf dem Weg zum ersten Zwischenstopp, der Reichenau, hatten wir zunächst keinerlei Orientierung. Vor uns die lange Allee, schemenhaft von Bäumen gesäumt. Was aber befand sich unmittelbar links und rechts von uns? Würden wir nun demnächst in den See fahren? Der Liebste versprach, dass alles gut werden würde, und er hielt es wie immer!

Ein Zopf Höribülle

Die Höri, bildschön, verträumt, vom See umschmeichelt, von der Sonne verwöhnt, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Nach zwei Tagen hatten wir den Bezug zum Realen verloren. Nach einer Woche wähnten wir uns in einem vierwöchigen Urlaub! Wo so etwas möglich ist? Am Bodensee. Auf der Halbinsel Höri. Mit zufriedenen Menschen haben wir uns unterhalten. Das Leben sei gewiss nicht immer leicht, jedoch erfüllend. Viel Arbeit, Stress eher nicht und reich werden könne man auch nicht. Doch nirgendwo anders möchte man leben. Wer das von sich behaupten kann, der ist wohl glücklich!

Verschlungene Strömung

Am Hafen in Konstanz

Gemächlich und auf verschlungenen Wegen durchfließt der Rhein den Bodensee. Zunächst im geräumigen Obersee, wo sich seine Spuren gelegentlich verwischen. Dann quetscht er sich bei Konstanz durch eine enge Passage, verabschiedet sich vom „großen“ See und fließt in den Untersee. Von dort geht die Reise unter dem Namen „Hochrhein“ weiter Richtung Schweiz. Nun gerät das gemächliche Leben in Turbulenzen und schließlich stürzt er sich als drittgrößter Wasserfall Europas kopfüber ins Ungewisse. Über zwanzig Meter tief: Das ist kein kleiner Nervenkitzel!

 

Ich liebe den Bodensee und er ist in meinem Leben fest installierter Grundbestand meines Glückes und dessen, was ich mir immer wieder ersehne. Ich kann nur atmen, wenn ich regelmäßig am See bin. Man mag es als Besessenheit bezeichnen, oder aber milder als Beseeltheit. Es ist mir egal. Ich muss regelmäßig dorthin, sonst fühle ich mich der Lebensfreude amputiert. Mein Ziel ist es, eines Tages am See zu leben. Wir suchen noch nach dem idealen Ort, doch was ist schon „ideal“, wenn alles betörend schön ist? Für uns wird es sich wohl in die Gegend um Lindau drehen, denn der Blick auf die schneebedeckten Alpen von Vorarlberg und die Nähe zum Bregenzerwald ist bestechend und durch nichts zu übertreffen. Südtirol ist zum Greifen nah, die Seen Norditaliens liegen quasi vor der Tür. Vor dem geistigen Auge aber sehe ich täglich den See und sehne mich nach ihm! Die Begegnung im April wird wohl erneut abgesagt werden. Jedoch sehen wir Licht am Ende des Tunnels …

Gute Nacht

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