An die Wand gesprüht

Schwarzes Tuch, weißer Spargel

 

 

Warum

... ich so gern Spar­gel es­se und beim ers­ten Ein­kauf in die­sem Jahr sehr be­stürzt war.

Anlass

Ei­ne Re­por­ta­ge über Ber­ge von Plas­tik­müll am Ran­de von Spar­gel­äckern.

„Ariane“, „Schnee­witt­chen“, „Hu­chels Al­pha“ kennt kaum noch je­mand. Spar­gel, der nicht von der Stan­ge ist. Al­te Sor­ten, ro­bust, hart im Neh­men, äu­ßerst wohl­schmeckend. Nicht aus der Re­torte, kein DIN-Spar­gel, nicht ma­kel­los weiß und ker­zen­ge­ra­de sind sie et­was für wah­re Spar­gel­lieb­ha­ber. Wenn sie dann noch oh­ne Fo­lie und unter frei­em Him­mel auf­wachsen, er­grü­nen dür­fen oder das Köpf­chen li­la an­läuft, sind sie eine De­li­ka­tes­se. Sie käm­pfen sich ge­ra­de zu­rück auf die Ä­cker und schi­cken Ken­ner in den sieb­ten As­pa­ra­gus-Him­mel!
Spargelspitzen

Nicht nur sauber, sondern porentief rein“ tönte es in meiner Kindheit in der Werbung aus dem Fernseher. Man sah eine nicht enden wollende Wäscheleine mit strahlend weißen, im frischen Wind wehenden Bettlaken. Gefühlte Länge von Flensburg nach München. Als Kind nahm ich die vollmundige Aussage über ultimative Reinheit für bare Münze. Als kritisch beobachtende Heranwachsende fragte ich mich immer öfter, bis zu welchem Punkt eine Steigerung jedweder Leistung nach oben sinnvoll ist. Generell, nicht nur bei Waschmitteln. Ab welchem Punkt Ausbeutung und Gier zum Wahnsinn werden und, auf die Spitze getrieben, ganze Systeme zum Kippen bringen. Heute bin ich der Überzeugung, dass es bezüglich der Folienwüsten auf den Spargelfeldern so weit ist! Mittlerweile verschwinden über 210 Millionen Quadratmeter Ackerboden unter Folien. Das hat mit natürlichem Wachstum und sinnvollem ökologischem Handeln nicht mehr viel zu tun. Es ist vielmehr kurz vor zwölf! Geschätzte 700 Tonnen Plastikfolie aus der Landwirtschaft müssen pro Jahr entsorgt werden. Das Gros wird wohl dem Spargel übergestülpt. Es gibt keine Statistiken, schon gar nicht bundesweit. Die Folien sind häufig so stark verschmutzt, dass sie nicht recyclebar sind, sondern verbrannt werden müssen. Wie viel Tonnen schließlich im Regenwald enden oder durch die Weltmeere geistern, weiß der Himmel. Wenn überhaupt! Ich finde jedoch den kleinen schwarzen Gedanken aberwitzig, dass der menschliche Organismus schließlich den Plastikmüll ein Stück weit entsorgt, wenn nur genügend mit Mikroplastik angereicherter Fisch gegessen wird! Ich weiß, das ist jetzt schon sehr schwarzer Humor 😉.

 

Ein schwarzes Tuch unter freiem Himmel

Eine Fläche, umgerechnet so groß wie 3.000 Fußballplätze, wird mit Polyethylen zugedeckt, teilweise mit dreifach übereinandergelegten Folien, damit der Spargel schon Anfang März, statt Anfang Mai geerntet werden kann. Als Spargelbauer kann einem das durchaus entgegenkommen. Die Dämme müssen nicht zweimal täglich kontrolliert werden, damit ja kein Hauch von Licht die makellos weißen Spargelköpfe verdirbt. Das Stechen kann zeitlich besser gesteuert werden, und Unkraut wächst unter den Folien nur sehr kümmerlich. Bis zu 40 Prozent der Arbeiten auf dem Spargelacker können somit nach Angaben der Bauernverbände entfallen. Bis dahin ist die Entscheidung zur Folie rational nachvollziehbar. Das kann man konstatieren, sollte es jedoch darüber hinaus einordnen. Der Spargel macht Bauern und Kunden unersättlich: Immer früher, mehr, höher, weißer – für kleines Geld! Das Maximalprinzip im Amoklauf, da muss doch irgendetwas auf der Strecke bleiben. Tut es auch.

Spargel unter Plastikdecken

Auf der einen Seite beklagen wir, dass Insekten, Bienen, Kleinlebewesen und Vögel zu verschwinden drohen. Initiativen in allen Bundesländern haben sich dieses Problems angenommen und legen riesige Insektenwiesen mit alten und wilden Kräutern an. Bauern vermieten Parzellen für bunte Wiesen an Naturschützer. In Kitas und Schulen werden Nutzgärten angelegt und Insektenhotels gezimmert. Das Problem ist also erkannt: Die Lebensräume für zahlreiche Arten müssen wieder ausgedehnt werden. Auf der anderen Seite kaufen Menschen samstags auf den Wochenmärkten geschätzte 120 Tonnen Spargel, der über neunzig Prozent unter Plastikplanen wächst. Folien bis zum Horizont: Wer das einmal gesehen hat, der macht sich spätestens bei diesem gruseligen Anblick seine Gedanken. Ich möchte mich nicht ausnehmen, wenn ich sage, dass wir Verbraucher manchmal nicht zu Ende denken, und unsere Macht nicht zum Guten nutzen. Das Gute wäre in diesem Falle ein klares „Nein“ zum vorverlegten Saisonbeginn für Spargel. Wo ist die Henne und wo das Ei? Die Spargelbauern sagen, der Verbraucher wolle den Spargel immer früher. Die Verbraucher kaufen ihn, weil er angeboten wird. Wer macht sich – da doch der jährliche Beginn der Spargelsaison stets Frohlocken hervorruft – schon Gedanken über die Konsequenzen. Keiner will Spielverderber sein! Die Spargelsaison dauert bis zum 24. Juni, dem Johannistag. Noch ist das Ultimum manifest. Früher – damit meine ich bis noch vor einigen Jahren – begann die Saison Ende April, Anfang Mai. Man bekam die begehrten Stangen um die acht Wochen zu kaufen. Reichte das denn nicht? Die Frage ist rhetorisch, denn meine Antwort darauf habe ich ja schon vorweggenommen!

 

Spargel zum Schleuderpreis

Die Begriffe „regional“ und „saisonal“ werden derzeit beinahe überstrapaziert. Es bedarf jedoch der Eingrenzung von Begrifflichkeiten und deren nähere Definition. Ist es noch saisonal, wenn wir Anfang März schon Spargel aus Feldern mit Unterbodenheizungen essen? Einige Spargelbauern haben sich bereits zusammengeschlossen, um das Folienvergehen zu boykottieren. Sie lassen sie entweder weg oder ersetzen sie durch kompostierbare Folien, die nach 3 Monaten von alleine wieder verschwinden. Sie sind teurer als die konventionellen Folien, also müssen diese Kosten auf den Spargelpreis umgelegt werden. Und was, wenn das Kilo statt der durchschnittlichen acht Euro dann neun, oder auch zehn kostet? Die Welt wird nicht aus den Angeln gehoben, sondern stabilisiert! Viele Verbraucher akzeptieren höhere Preise, weil sie fair sind und weil sie den Spargel mit gutem Gewissen essen können. Ich habe in Gesprächen erfahren, dass sie den Spargel, der unter freiem Himmel aufwächst, schätzen. Ich will es wissen: Mein Spargel heute kommt vom Demeter-Hof. Ich glaube nicht, dass ich es mir einbilde, weil ich so milde gestimmt bin, und glauben will, dass alles wieder besser wird: Er schmeckt so aromatisch, nussig, ein Hauch nach Chlorophyll und gerade so leicht bitter, wie man es sich wünscht!

Das unbedarfte bis rigorose Treiben der Spargelanbauer und die unschuldige bis dekadente Ignoranz der Kunden waren mir in ihrer Bandbreite mit den bedrohlichen Konsequenzen nicht bewusst. Nun aber bin ich aufgeschreckt und – ehrlich gesagt – auch bestürzt! Durchaus vertrauensselig, war ich schließlich auch ich ein Teil dieses Kreislaufs. Ich werde mir ab sofort genau anschauen, wo mein Spargel herkommt und wie er aufgewachsen ist. Notfalls werde ich bewusst verzichten. Mir fällt der Spruch der „Cree“-Indianer aus meiner Greenpeace-Zeit ein. Ihr wisst schon, der mit dem „Geld, das man nicht essen kann ...“ Um im Bild zu bleiben: „...wenn man das letzte Fleckchen Acker unter Folien erstickt haben wird“. Oh Mann! 🙁

Das Rezept dazu auf FoodLady.de

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