An die Wand gesprüht

Schnee Magie

 

 

Warum

... ich mich gern verzaubern lasse.

Anlass

Ein leises Rieseln bei gedämpftem Licht und damit verbundene viele schöne Erinnerungen an meine Kindheit.

Wir wachen morgens auf und die Welt ist weiß, schneeweiß. Wie schön, ein Wunder! So still, so leise sind Flocken gefallen, die alles verzaubern. Die Welt wirkt blank geputzt, gereinigt. Die Luft riecht frisch und klar, Geräusche sind seltsam gedämpft, unaufgeregt. Druck, der zwischenzeitlich die Seele beschwert, ist vorübergehend besänftigt. Auf Zeit nun habe ich das Gefühl von Erleichterung, in der Natur wird „Corona“ unwirklich. Ich weiß, das ist eine Illusion, steige dennoch in meine Wanderschuhe und genieße die gefühlte Pause, solange sie anhält!
Winterwald

Schnee hat mich immer schon fasziniert. Als Kinder haben wir uns die Nasen an den Fensterscheiben platt gedrückt und auf ihn gewartet. Die Wettervorhersagen waren längst nicht so präzise wie heute, jedoch lag immer einmal wieder die Hoffnung auf eine Winter-Wunderwelt in der Luft. Das allein war schon ein Abenteuer. Wir durften hoffen, dass die Welt ein weißes Gewand tragen und wir Schlitten fahren konnten. Wenn es dann so weit war und es dicke Flocken schneite, waren wir versessen darauf festzustellen, ob die Flocken eher gefroren-kristallen oder fragil-wässerig waren. Blieben sie eine Weile, oder würden sie bald schon dahinschmelzen?

Seehundfell und Walfischfluke

Die Mutter hat unsere Kleidung gerichtet. Wir hatten keine hoch funktionalen, schnell trocknenden Skianzüge. In meiner Kindheit waren Keilhosen das Mittel der Wahl, die jedoch weder vor Durchnässung schützten noch verhindern konnten, dass Schnee in die Schuhe eindrang. Am Ende waren die Füße immer nass und die Schuhe wurden mit Zeitungspapier ausgestopft und zum Trocknen neben den Ofen gestellt. Ich trug, der Himmel möge es mir verzeihen, ausgemusterte Seehundfell-Schuhe meiner Großmutter. Möglicherweise war das einer der Gründe, der mich nach post-pubertierender Erkenntnis-Gewinnung als Jugendliche dazu trieb, „Greenpeace“-Mitglied zu werden und dem Misshandeln von Tieren die Stirn zu bieten. Das Zahlen der Beiträge genügte mir dabei nicht, und wir hatten regelmäßig Aktionen am Starten, um die Welt ein wenig besser zu machen. Die silberne Walfischfluke nahm ich nie vom Hals! Sie war eine Art heilender Fetisch! Sah ich in diesem Zusammenhang ewiges Weiß, hat es mich eher traurig gemacht, denn Robben-Babys im Schnee, denen man lebendiger Weise die Häute vom Körper zog, trieben mir die Tränen in die Augen und die Zornesröte ins Gesicht. Ich gab mein Bestes und hoffe, wir sind ein Stück weitergekommen. Inzwischen bin ich wieder einigermaßen entspannt, so dass ich mich aus der Distanz verklärenden Kindheitserinnerungen hingeben kann.

Schlittenfahren im Konvoi

Kinder spielen im Schnee

Sobald Schnee gefallen war, hat der Vater die Schlitten überprüft und die Kufen von Rost befreit, um sie danach mit gesammelten Kerzenstumpen zu wachsen. Dann wurden Felle auf die Aufsitzfläche der Gefährte gelegt, damit der Allerwerteste schön warm blieb, und wir machten uns auf in den winterlichen Wald. Auf dem ersten Schlitten kam ich zu sitzen, auf dem zweiten, im Konvoi angehängt, die beiden jüngeren Geschwister. Für das Schwesterchen war auf dem Schlitten ein kleines Gatter befestigt, damit sie sicher saß und nicht umkippen konnte. Die Mutter hatte sie in einen Kinderwagen-Wärmesack gehüllt und ihre Fäustlinge hingen an einer Kordel, damit sie unterwegs nicht verloren gehen konnten. Nun noch den Schäferhund „Rolf“ angeleint, und schon ging das Abenteuer los. Gezogen hat er unsere kleine Karawane nicht, doch war seine Gesellschaft erbauend. Fand er einen herumliegenden Ast, ließ er es sich nicht nehmen, ihn beharrlich im Maul mit sich zu führen. Strauchelte er an Hindernissen, war er nicht zu entmutigen und nahm es erneut stolz mit der Fracht auf! Ich finde noch heute kaum Worte, um die Wonne dieser Exkursionen zu beschreiben.

Kinder spielen im Schnee

Die Schritte der Eltern im knarzenden Schnee, der ziehende Vater, die an Anstiegen von hinten schiebende Mutter. Schwer mit Schneelast bepackte Äste und Zweige der Bäume, der dampfende Atem des Hundes und das leise Geräusch dahingleitender Schlitten. So sollte es doch – bitte, bitte – bleiben! Blieb es aber nicht, denn lange hielt die Pracht nie. Das mit am meisten Schmerz bereitende Wort meiner Kindheit: Tauwetter!

Renatos Enzian

Berglandschaft m Schnee

„Magie“ bedeutet so viel wie verzaubern. Und verzaubert hat Schnee die Welt für mich stets. Später, als ich in den ersten Ski-Urlaub nach Südtirol fahren konnte, sowieso. Der ganz große und unzerstörbare Schnee! Eine komplett weiße, verlässliche Welt hoch oben in den Bergen vor bizarrer Kulisse. Die ersten Exkursionen auf den „Bretteln“, die ersten Fahrten mit dem Schlepplift. Mitten am Berg scheiterte ich und fiel von der Sitzstange wie ein trunkener Vogel. In komplett ungewalztem Tiefschnee-Gelände, auf der unwirtlichen Rückseite des aufbereiteten Pistenabhangs. Der Skilehrer „Renato“ hatte alle Mühe, mich nach unten zu bringen. Ich war am Weinen, er tröstete mich zwischendurch mit einem Busserl, herzhaftes Klischee, aber unvergessen 😊. Am Ende besiegelten wir das Unterfangen mit einem „Enzian“: Igitt, wurzelig!. Aber wohl hat er getan! Ach, der Schnee ... Ach, der schnauzbärtige Renato…

Rasende Eber im Schnee

Wildschwein (Zeichnung)

Schneespaziergänge haben es mir immer schon angetan. Die letzten Tage hatte ich mehrere davon und kam stets mit rot glühenden Wangen ins Haus zurück. Im Wald habe ich mich herumgetrieben, was sehr schön war, weil Vögel umhertollten und immer einmal wieder etwas von dem Schnee zum Herunterrieseln brachten. Eine Rotte Wildschweine raste mit irrem Tempo den Hang hinauf. Das Intermezzo ließ mich beim Liebsten Zuflucht suchen und mich hinter seinem Rücken verschanzen. Ich habe halt gelernt, er hilft mir gegen alles. Er ist eine verlässliche Größe! Selbst eine von einem rasenden Eber getriebene Wildschweingemeinschaft, daran glaubte ich, könne er mir sicher vom Hals halten. Der anschließend von mir konsultierte Förster allerdings relativierte meine hohen Erwartungen. Wenn so ein Saumann wirklich „sauer“ sei, meinte er, nütze kein Wettlauf etwas, denn der Eber sei trotz der kurzen Beinchen auf jeden Fall schneller. Man solle ihn nicht unterschätzen! Und sich auf einen Baum zu retten, wäre auch kein guter Plan, denn so ein Wildschwein-Männchen verfüge über Geduld und Schläue und würde sich gegebenenfalls anschicken, den Baum auszugraben. Nicht gerade tröstlich, diese Aussicht!

Waidmannsheil für Waidmanns Garn

Doch bemühe ich mich stets, am Boden der Tatsachen zu bleiben. Ich zweifelte ein wenig an der vorhandenen Fähigkeit der berechnenden Möglichkeiten wilder Tiere und fragte den Förster, ob er mir wohl „Waidmannsgarn“ vorspinnen wolle. Er lachte gutmütig und meinte, man solle eine Sau nicht reizen und es nicht mit ihr aufnehmen wollen. Ich denke noch immer darüber nach, wie genau er das wohl gemeint haben könnte. Wir verzeichnen zum momentanen Zeitpunkt den 17. Januar 2021 und ich denke, eine der größten Wildsäue der menschlichen Geschichte haben wir ins Abseits geschickt. So Gott uns hilft, sind ihr beziehungsweise „ihm“ endgültig Macht und lügend-zwitschernde Stimme geraubt, wenngleich: Erlegt ist er noch nicht! Zum Poltergeist allerdings werden die mentalen Fähigkeiten wohl kaum reichen 🙄! Auf, dass ihm die gelb gebleichten Borsten ausfallen und das gespitzte Mäulchen Ruhe geben möge! Ist Lügen eine Magie, fragte ich mich die letzten Jahre, und wie kann es sein, dass Menschen in großem Stil hohlstem Geschwätz auf den Leim gehen? Nein, Lügen bedeutet Gemeinheit und Verantwortungslosigkeit und ich rette mir den Begriff Magie ins Schöne, Vielversprechende.

Verblichene Schneespuren

Eiszapfen

Schnee Magie, das habe ich in all den Jahren schon oft erlebt. In Urlauben im Schnee erging es mir jedoch oftmals so, dass ich das verlässlich vorhandene Weiß nach spätestens einer Woche als langweilig empfand. Wahrscheinlich ist es doch das Flüchtige, das uns Gegebenheiten kostbar erscheinen lässt. Als Kind hatte ich keinen größeren Wunsch, als dass wir einmal mindestens zwei Wochen Schnee haben würden. Eines Tages nach erstem selbst verdientem Geld hatte ich einen wundervollen Skiurlaub in Lenzerheide in der Schweiz. Wir reisten bei dichtem Schneefall an, man sah kaum die Hand vor Augen. Ab dem nächsten Morgen schien die Sonne jeden Tag. Und jede Nacht fiel Neuschnee, während wir zunächst ein Raclette zu uns nahmen und dann beschwert einschliefen. Beschwert wachten wir allerdings auch auf und fuhren ebenso nachhause. Es hat mit dem damaligen Auserwählten nicht mehr klappen wollen und wir sagten nicht nur dem Schnee und den Pisten „adieu“, sondern ebenfalls uns. So schön war die Kulisse, doch wenn es im Herzen nicht mehr taugt, hat sie ihren Zauber verloren.

Zuckerbäcker mit Kreide

Neuer Schnee fiel im Laufe der Jahre, in der Schweiz zuverlässig, bei uns zuhause unverhofft und wankelmütig. Schnee bedeckt alles und lässt es in einem neuen, reinen Licht erscheinen. Der Schnee von heute überdeckt den Schnee von gestern. Er kommt, legt seine Decke über das Leben und die Welt, er schmilzt, man bedauert das. Er wird grau und fleckig, dann ist er hinfort. Aber neuer weißer Schnee kommt ganz sicher wieder. Mein erster Erfolg in der Grundschule hing mit Neuschnee zusammen. Es war die Vollendung eines Satzes, den die Lehrerin an die Tafel schrieb, nachdem draußen entzückenderweise alles weiß gepudert war: „Der Winter ist ein…?“ Ich nahm es aus meinem Innersten und weiß nicht, woher „Der Winter ist ein Zuckerbäcker!“. Die Lehrerin sah mich erstaunt an und schrieb das Wort an die Tafel. Ich hatte das Weiße ins Schwarze getroffen und alle applaudierten! Ob das ein kleines Wenig dazu beigetragen hat, dass ich die weiße Zuckerglasur draußen so liebe? Sie beflügelt und verzaubert mich stets aufs Neue.

Winterwald

Aufwärmphase: Kakao und Kraftbrühe

Nichts ist schöner, als wenn man nach einem ausgedehnten Schneemarsch nachhause kommt und sich von innen wärmen kann. Erneut von innen wärmen kann, denn das Seine hat der Spaziergang in stiller Landschaft bereits getan. Als Kinder bekamen wir nach Stunden am Rodelhang stets einen heißen Kakao. Damit kann man mich heute nicht mehr erfreuen. Auch heißen Alkohol kann ich nicht mehr leiden, seit mich ein „Jagertee“ mit hochrotem Kopf zum Speien brachte. Heute ist eine heiße Kraftbrühe das Mittel der Wahl. Die habe ich immer (!) portioniert im Froster. Im Sommer trinken wir sie nach dem morgendlichen Lauf lauwarm, im Winter schlürfen wir sie in kleinen Schlucken glühend heiß. Wie man zu so einer kräftigenden Brühe kommt, das beschreibe ich gerne und wünsche gutes Gelingen und „wohl bekomme es!“. Dem „Weiß“ wünsche ich, dass es seinen Zauber behalten, den Menschen, dass sie ihre Bereitschaft, sich verzaubern zu lassen, nie verlieren mögen!

Spaziergänger im Schnee

Ein rundum runder Suppentopf.

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