An die Wand gesprüht

Schaupause – im Lehrgarten

 

 

Warum

... ich seit neuestem noch lieber im Garten bin.

Anlass

Eine überraschende Einladung beim Joggen.

Wir leben in komplizierten Zeiten. Vieles bewegt sich am Rand von Hysterisierung, die in unserer überbeschleunigten Gesellschaft mittlerweile zur alltäglichen Lebensart geworden ist. Wie gut es doch tut, entspannt zu sein. Zum Beispiel durch ruhige Natur zu wandern. Trifft man dann unvermutet auf einen gepflegten Garten mit tadellos gemähtem Rasen, fragt man sich, was es damit auf sich hat. Blumenbeete, Beerensträucher und ein gemütlich wirkender Unterstand mit Bänken laden ein, und das Türschild fordert auf, das Grundstück zu betreten. Ich traue mich kaum, das kunstvoll geschmiedete Tor zu öffnen 🙄.
Schaupause - Lehrgarten Obst- und Gartenbauverein Heckendahlheim

Ich trete in einen „Lehrgarten“ und frage mich dabei, was ein „Lehrgarten“ ist und wer so etwas erschaffen hat. Kaum glauben kann ich, dass das Gelände nicht verschlossen ist. Später erfahre ich, dass eben ein einladendes Tor offensichtlich vor Vandalismus schützt. Wer sich willkommen fühlt, hat kaum ein Motiv und einen Grund zu zerstören. Das ist ein Grundgedanke beim Obst- und Gartenbauverein Heckendalheim (OGV). Bisher hat's funktioniert, und ich sende dem zugrunde gelegten Vertrauen meine besten Wünsche!

Zunächst treffe ich auf eine Kräuterschnecke, die selbstredend mit kleinen „Findlingen“ der Umgebung gemauert wurde. Bestückt ist sie mit golden blühendem Fenchelkraut, Lavendel, Rosmarin und üppigem Borretsch mit kleinen blauen Sternblüten. Er hat seinen genau richtigen Standort an einer luftigen jedoch der Mittagssonne abgewandten Seite der Schnecke bekommen. Hier wissen erfahrene Menschen, die Hand angelegt haben, Bescheid – das steht fest. Viel weiß ich nicht über Kräuter, jedoch habe ich das von mir geliebte blau blühende Kraut mit den silbrig behaarten Blättchen erstmals gut über den Sommer bekommen 😊!

Borretsch im Lehrgarten
Zucchiniblüten

Am unteren Ende des Grundstücks ist ein Gemüsebeet angelegt. Zucchini gedeihen prächtig und üppig neben Lauch, Blumenkohl, Knollensellerie und Artischocken. Die Sellerieknollen sind recht klein, das Grün dafür umso üppiger. Die Artischocken muten zierlich an und lassen mich an „Poweraden“ denken, allerdings wirken sie etwas eingeschrumpelt, als wären sie nicht Baby-Artischocken, sondern vorzeitig gealtert. Ich lerne jetzt: Der Garten heißt „Lehrgarten“, weil man herausfinden und vermitteln möchte, was unter welchen Bedingungen gedeiht und was nicht. Die in diesem Sommer „zurückgebliebenen“ Artischocken zum Beispiel waren im letzten Jahr üppig und saftig, obwohl es ebenfalls heiß und trocken war, und da, wo sie herstammen, kommen sie mit solchen Bedingungen bestens zurecht. In diesem Fall steht demnach ein Fragezeichen über dem Gemüsebeet, und die Lehre an dieser Stelle wäre möglicherweise, dass man nicht immer alles punktgenau erklären kann, und die Natur so ihre eigenen Pläne hat. Eine hilfreiche Lehre nebenbei, auch Fragezeichen zu akzeptieren. Das gewohnte übersteuerte Resonanzsystem unserer an Informationen mit Scheinwahrheiten völlig übersättigten Gesellschaft lernt eine Grenze kennen! Ich sage: Manche Grenze ist eine gute Grenze 😲.

Von Maulwurf und Menschen

Chistian Stolz, 1. Vorsitzender vom Obst- und Gartenbauverein Heckendalheim
Chistian Stolz, 1. Vorsitzender vom Obst- und Gartenbauverein Heckendalheim

Christian Stolz, 1. Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins Heckendalheim, führt mich durch den Garten entlang Anfang Oktober noch immer üppig blühender Beete, deren „Pate“ oder „Patin“ – so regelt man hier die Zuständigkeiten – sich viel Mühe macht und offensichtlich den „Grünen Daumen“ hat. Die Kräuterschnecke präsentiert sich dem Herbst gemäß, weist das eine oder andere verwelkte Blättchen auf, und die Bewohner lassen allmählich langsam die Triebe hängen. Wir stehen vor kleinen Blumenkohl-Köpfen, die über ihre beste Zeit hinaus sind und aussehen, wie explodierte Blüten mit traurigen Blattkränzen darum herum. Stolz erläutert pragmatisch, dass der Garten „eben so ist, wie er ist.“ Hier wird nichts ziseliert oder verkünstelt. Es kommen keine Mittel gegen „Irgendwas“ zum Einsatz, sondern die Natur entscheidet, was sie hervorbringt. Und die Maulwürfe dürfen sich unterirdisch ergehen. Denn der Acker gehört auch ihnen. Und diesem stillen und doch im Grunde wilden und unreglementierten Geschehen schauen die Vereinsmitglieder zu, kommen zur Ruhe, ins Gespräch und im besten Falle – der dem Vernehmen nach zum Dauerzustand geworden ist – sich näher. „Gemeinschaft“ wächst heran, getragen von dem ihr wesenseigenen „Wir-Gefühl“.

Bagger und Pflanzkelle

Ein weiteres Projekt, ein Beet für Kräuter, ist in Arbeit. Die Steine sind schon zur Mauer zusammengewachsen, bepflanzt wird demnächst. Die Projekte des Vereins müssen mit knappem Budget auskommen. Und doch sind sie möglich, weil sich immer wieder Spender an den OGV wenden und die von ihnen nicht mehr benötigte Materialien abgeben. Genau das gibt dem Verein positive Rückmeldung, weil man „an ihn denkt“. Die Arbeit wird von der Gesellschaft wahrgenommen und wertgeschätzt. Gerade ist Mutterboden von einem Garagenaushub am Rand des Grundstücks aufgehäuft, die plan ausgebrachten Verbundsteine für einen Unterstand lagen einst auf dem nun renovierten Dorfplatz. Sobald Materialien vor Ort angekommen sind, kann der Ausbau des Lehrgartens fortschreiten. Die Projekte seien es, sagt Christian Stolz, die den Zusammenhalt des Vereins auch ausmachen, denn sie seien ein wichtiger und direkter Weg, um sich einbringen zu können. Einer ist Mauerspezialist, andere kennen sich mit Büschen und Gehölzen aus oder verstehen sich aufs Schmieden. Wichtig ist auch der Mann mit dem Bagger, denn Aushub und Transport von Erdmaterialien stehen oft an und waren gerade in den zurückliegenden Monaten dringend notwendig, denn ein weiteres Stück Land ist an den Lehrgarten gewachsen und musste gerodet werden.

 

Ein Schwank übers Schwenken

Schweinesteak auf dem Grill (Schwenker)

Pläne zu diesem schönen Garten am Dorfrand waren entstanden, nachdem ein Familiengarten aufgegeben worden war, als die gärtnernde Groß­mutter sich aufs Altenteil begeben hatte. So richtig Kontur hat das Lehrgarten-Projekt vor zehn Jahren bekommen. Die Arbeiten haben Fahrt aufgenommen, eine im Gleichklang arbeitende Gemeinschaft mit derweil mehr als 100 Mitgliedern hat sich gebildet und führt kleine und große Arbeiten durch, ganz ohne Vereinsmeierei und Postengerangel. Es funktioniert entspannt und bestens. Auf diesem kleinen Gartengrundstück darf man sich auf so einiges gefasst machen, von dem man glaubte, es in der heutigen Zeit schon verloren zu haben. Ist die Arbeit getan, nimmt man in einer komfortablen, offenen Schutzhütte Platz und kurbelt den hochmodernen „Schwenker“ herunter. Der „Schwenker“, gehört zum Saarland wie Gruben und Scholle. Der „Schwenker“ (eine Person) schwenkt den „Schwenker“ (einen runden Grillrost) über dem Feuer, und auf selbigem Rost liegt wiederum der „Schwenker“ (eingelegtes Schweinesteak). Zusammengefasst: „Der Schwenker schwenkt den Schwenker auf dem Schwenker.“

Die Schutzhütte wird von den Dorfbewohnern rege genutzt, ich sehe eines Morgens einige Damen munter beim Sektfrühstück. Eine weitere Philosophie des Vereins verblüfft mich dabei: Es gibt keinen Mülleimer. Also nehmen die Besucher ihren Müll wieder mit. So schlicht, so einleuchtend, auch das funktioniert!

Gemeinsam Hand anlegen

Man spricht derzeit in unterschiedlichen Zusammenhängen von „verdichteten Momenten“, die das „Komprimieren“ von Eindrücken und Empfindungen meinen. Je nach Anlass erzählen diese Momente von Einsamkeit, von künstlerischen Ambitionen oder auch von fertiggestellten Bauwerken. Im Falle des OGV-Lehrgartens „verdichten“ sich die Momente zu Gemeinsamkeit, Umweltarbeit und heimatverbundener Landschaftskultur. Und für mich verdichtet sich dieses Wirken weit darüber hinaus zu etwas in unserer Zeit sehr kostbar Gewordenem: der sozialen Zuwendung und Gemeinschaft. Während anderenorts darüber geklagt wird, dass Menschen während ihrer Freizeit in sozialen Blasen fiebrig „herumdaddeln“ und dabei vereinsamen, wird hier Hand angelegt. Etwas Greifbares und auch Sinnvolles mit den eigenen Händen zu erschaffen, nährt Geist und Körper. Wenn dieses Schaffen in der Natur, an frischer Luft stattfindet und wenn die Menschen dabei miteinander Freude haben, kann es besser nicht sein. So könnte man denken. Es geht aber noch besser!

Kooperation in der Klamm

Wegmarkierung Daler Rundweg

Der Obst- und Gartenbauverein arbeitet eng mit dem Heimat- und Kulturverein zusammen. Das wiederum ist äußerst gewinnbringend für die Ländereien um das Dorf herum. Wälder und Wanderwege werden gemeinsam gepflegt, Obstbäume angepflanzt oder weiterkultiviert, man hilft sich gegenseitig und hält auch hier beim gemeinsamen Arbeiten zusammen. Schließlich geht es nicht mehr um Vereinsinteressen, sondern um das Große und Ganze. Den Wanderweg, der am Lehrgarten vorbeiführt, säumen große Freiluft-Instrumente, die ich als „Klanginstallationen“ bezeichne. Abgegeben wurden sie von einer Musikschule, und wenn man Glück hat, hört man – so wie ich – wie Kundige herzerwärmende Töne aus ihnen herauslocken, die weit in die Landschaft hinausgetragen werden. Aufgebaut hat man die Installation: gemeinsam.

Dalheimer Klamm

Ebenso die Stiegen und Geländer, die auf dem großen Rundweg hinunter in eine Klamm führen und wieder hinaus, auch sie hält man ohne Aufhebens in Schuss. „Gemeinsam“ ist ein gebräuchliches Wort. Die tiefere Bedeutung ist „in gleichem Sinn“, diese Zielrichtung scheint beide Vereine zu tragen. Neue Obstbäume werden demnächst im gleichen Sinn gepflanzt und ein weiteres Blütenbeet angelegt. Nicht nur die Augen des Betrachters, sondern auch Bienen und Artverwandte wird es freuen.

Rote Weintrauben

Das Grundstück des Lehrgartens ist talseitig begrenzt von zehn Jahre alten Reben, die köstliche Trauben hervorbringen, inzwischen weiß ich, die Sorte heißt „Robusta“. Derjenige, der am Garten vorbeikommt, wird zur Erntezeit mit einem Hinweis aufgefordert, sie sich zu pflücken. Ich denke: „Wo gibt es denn so etwas?“ und zupfe mir dankbar ein paar Hände voll. Ein scharfes Trauben-Chutney lässt mich nun über den Winter hinweg sicherlich jedes Mal wohlig an den Lehrgarten denken, wenn ich es mit einem Stückchen Käse genieße. Schon wenn ich die morgendliche Laufstrecke zurücklege, die am OGV-Grundstück vorbeiführt, werde ich mich darauf freuen!

Apfelbäumchen pflanzen

Eine pinkfarbene Bank

Für jedes Kind, das im Dorf geboren wird, spendet die Gemeinde einen Obstbaum. Wer Platz im Garten hat, pflanzt ihn dort, für alle anderen gibt es gegenüber vom Lehrgarten die „Storchenwiese“, und die ist schon ganz schön voll. Neuerdings steht dort mittendrin eine pinkfarbene Bank, die zum Verweilen und möglicherweise Kennenlernen einlädt. Der Ort wächst. Er wächst wegen seiner Lage inmitten der Biosphäre und wegen der Lebensqualität, die er zu bieten hat. Gerade findet ein Generationenwechsel statt, und das ist aus meiner Sicht eine beachtliche Entwicklung. Andere Dörfer vereinsamen und träumen davon, wieder zu erblühen. In Zeiten der Verunsicherung – nicht nur wegen der Corona-Pandemie – sehnen sich Menschen nach ruhebringenden Mustern im Chaos. Die Obst- und Gartenbauvereine in der Region, die teilweise schon mehr als hundert Jahre existieren, vermitteln solche Grundfeste. Aufgeregtheit findet hier keinen Raum, man begegnet ihr mit ruhigem Selbstbewusstsein und einer für alle gewinnbringende Mission. Ich bemühe den Leitspruch unseres Bundeslandes „Großes entsteht im Kleinen“. Da liegt viel Wahres drin!

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