An die Wand gesprüht

Mucken und Spucken

 

 

Warum

... ich durch Tim Raue Interesse an Vulkanen habe.

Anlass

Eine platt gedrückte und verhüllte Caponata, die ich wieder ans Licht des Tages brachte. 

Der Ätna dampft wieder. Er brodelt, muckt und spuckt. Für seine Verhältnisse moderat, so dass das Leben rund um ihn vordergründig seinen gewohnten Gang nimmt. Es wird gesät, gepflanzt, geerntet und gekocht. Traditionelle Gerichte werden weitergegeben. Sie werden verfeinert, mit neuen Aromen kombiniert – ein guter einheimischer Schluck von den Reben am Hang gehört in jedem Fall dazu. Und ob der Ätna wieder zum Supervulkan erwachen wird, kann niemand voraussehen, mag niemand sich ausmalen.
Wein einschenken vor dem Vulkan

Tim Raue behauptete vor einigen Jahren in der Tageszeitung Süddeutsche Zeitung, das sizilianische Nationalgericht „Caponata“ sähe aus, wie ein überfahrenes Tier auf dem Teller. Für einen Sternekoch nicht unbedingt die eleganteste Art, sich auszudrücken. Nennt man das „Geradeheraus“ heute nicht „authentisch“? Raue präsentiert die „Caponata“ nach einem Rezept seiner damaligen Mentorin und Frau Marie, die das Auberginengemüse in gesprenkelten Castelfranco-Salat einrollte, um es vor dem Feinschmecker-Auge zu verbergen.

Rote Weine, rote Lava

Weinflasche Terre Nere

Raue, dem es auch um das passende Getränk zum süßsauren Gemüse geht, führt weiter aus: „Dazu einen vollmundigen »Roten« von der famosen »Tenuta delle Terre Nere«, und man meint, dem dampfenden Ätna nahe zu sein.“ Das Weingut „Terre nere“, das am Nordhang des Ätna liegt, bringt Weine von Weltklasse hervor. Ich habe mich postwendend schlaugemacht. Weinfachhändler schreiben über diesen rassigen Roten aus der schwarzen Asche-Erde: „Eigenständig und hoch spannend, die neuen Weine von der Tenuta delle Terre Nere“. Es handelt sich um eines der besten Weingüter Siziliens, unmittelbar an den Hängen des Ätna in einer Höhe von tausend Metern gelegen. „Das kühlere Klima in diesen relativ hoch gelegenen Weinbergen lässt Weine entstehen, die mit ihrer Finesse und Eleganz eher mit Burgunder oder Barolo zu vergleichen sind als mit Weinen aus Süditalien. Finesse, aromatische Intensität, Textur und Komplexität der Weine sind bemerkenswert.“ Was soll ich sagen, ich habe uns umgehend einen gemischten Sixpack geordert. Der ist längstens verputzt, und ich hoffe, der im Februar 2021 erneut eruptierende Vulkan, hat in eine Himmelsrichtung weg von den Reben gespien! Welch ein Jammer, wäre es um die prächtigen Weinstöcke geschehen!

Messina – ein Phönix aus der Asche

Vulkanausbruch (Illustration)

Ob ich mich Tim Raues Fantasien anschließe und dem „dampfenden Ätna“ nahe sein möchte, steht auf einem anderen Blatt. Denn dass dieser ausgesprochen aktive und launische Vulkan zu unseren Lebzeiten keine Ruhe geben wird, steht fest. Auf dem Stiefel tobt und brodelt es mit beängstigender Regelmäßigkeit. Unter keinem Land Europas rumort es mehr. Vor allem in der Meerenge zwischen Kalabrien und Sizilien nehmen die tektonischen Kapriolen kein Ende. Jederzeit sei mit dem Schlimmsten zu rechnen, sagen beobachtende Vulkanologen. Allerdings, die Menschen, die schon seit Generationen mit den Vulkanen leben, scheinen sich mit diesem Risiko arrangiert haben.

Wie sonst wäre es möglich, dass zum Beispiel nach dem großen Erdbeben bei Messina Anfang des letzten Jahrhunderts aus all den Trümmern und Schutt erneut eine pulsierende Stadt erstanden ist. Man sollte denken, nachdem an die hunderttausend Menschen auf einen Schlag bei dem Megabeben mit anschließendem Tsunami ihr Leben gelassen hatten, würden die Überlebenden panisch und schreiend das Weite gesucht haben. Geschrien werden sie wohl haben, jedoch sind sie geblieben. Ich glaube, dass es Heimatverbundenheit und energiegeladene Lebenseinstellung der Italiener sind, die helfen, das Grauen auszublenden, von dem Vulkanologen sagen, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit wiederkehrt. Genau zu sagen wann, sei jedoch trotz aller Aufzeichnungen und Beobachtungen nicht möglich, denn zu viele Faktoren spielen eine Rolle.

Rumoren in der Scholle

Der Ätna ist seit Jahren wieder aktiv und spuckt das glühende Gestein nicht nur am Gipfel aus, sondern auch an den aufgerissenen Flanken der Berghänge. Trotzdem siedelten im Laufe der Jahrzehnte die Menschen immer näher am Fuß des rumorenden Berges, allen Warnungen zum Trotz. Die berechneten Schutzzonen sind von der rasch wachsenden Bevölkerung regelrecht annektiert worden. Selbst wenn sie vor einem Ausbruch des Vulkans beizeiten gewarnt würden, könnten Hunderttausende nicht fliehen, weil sie auf überforderten Straßen, die nicht auf eine Massenflucht ausgelegt wurden, in einem gigantischen Stau gefangen wären. Und nicht genug damit, dass man in Sizilien mit feuerspuckenden Bergen Auge in Auge leben muss. Teilweise im Verborgenen liegt in unmittelbarer Nähe von Neapel ein riesiges vulkanisch aktives Gebiet, das sich weit hinein in den azurblauen Golf von Neapel ausdehnt. Wenn alles so schön und perfekt aussieht, kann sich der menschliche Verstand eine tödliche Gefahr nicht vorstellen. Vielleicht ist Leben nur so überhaupt möglich?

Mittel für den Super-GAU

Vulkanausbruch (Pixabay, David Mark)

Die „Phlegräischen Felder“ gelten als Europas Supervulkan, der nicht endend vulkanisch tätig ist. Wenn der eines Tages einmal wieder ausflippt und spuckt, „macht da keiner was dagegen“, sagen pragmatisch die Forscher. Ganz Europa würde unter den Aschewolken leiden, je nach Gewalt des Ausbruchs sogar die ganze Erdatmosphäre. Möglicherweise verschwinden wir dann alle unter einem dichten ätzenden Schleier aus Schwefelsäure. Und dann geht unter Umständen für immer das Licht aus, weil die Sonnenstrahlen von diesem Schleier zurück ins All reflektiert werden. Bis dahin dauert es hoffentlich noch. Und bis dahin hat es die Menschheit möglicherweise ohnehin geschafft, sich durch ihren ökologischen Raubbau selbst zu eliminieren. Die Gletscher und Polkappen sind dann längst schon geschmolzen und das Wasser steht uns bis zum Halse. Vielleicht leben wir alle, wie die Niederländer, auf Pontons und ernähren uns von Algen, weil sie das einzige Grünzeug sind, das noch wächst. Wer weiß das schon. Und solange das alles nicht feststeht, machen wir es wie die leidgeprüften und gefährdeten Stiefelbewohner und blenden die Horrorszenarien einfach aus.

Eifelmaare (Quarks & Co. WDR)

Augen in der Eifel

Vulkanische Tätigkeiten sind allerdings nicht so weit von uns entfernt, wie wir uns das wünschen. Denn in der Vulkaneifel rumort ist im Untergrund ebenfalls gehörig. US-Forscher beobachten das mit Argusaugen und haben höchste Befürchtungen. Im hessischen Vogelsberggebiet hält man die Vulkantätigkeit derzeit für erloschen. Wissenschaftler jedoch sagen, dafür, dass die Krater für ewig erloschen seien, legten sie die Hand nicht ins Feuer. Wir sehen also, auch wir balancieren gewissermaßen alle am Rande des Vulkans. Heute lasse ich Ätna, Vesuv und die ganze ungestüme Verwandtschaft weit hinter mir und lade stattdessen eine sizilianische Rezeptur in meine Küche ein.

Süßes braucht Saures

Ich hole den süßsauren Gemüse-Salat aus dem Versteck von Tim Raue heraus und verschaffe ihm einen angemessenen Auftritt! Man soll stehen zu den Dingen, die man macht und sie somit auch sehen können. Ich bin übrigens in einigem ein Anhänger Raues. Die Kochbücher, vor allem das „Brasserie“-Werk mit den bodenständigen Rezepturen mag ich. Seine Art, sich auszudrücken, jedoch und das, leicht unverschämt, meckernd klingende Lachen, in Fernsehen und Podcast überzeugen mich nicht. Aber nicht ein Jeder kann alles können! Im Artikel über „Sizilianische Caponata“ spricht Tim Raue etwas feiner ziseliert über die Rezeptur, als wolle er den garstigen Vergleich mit einer Tierleiche wieder gut machen. Möglicherweise in einer Art der Selbstreflexion: „Der Geschmack bringt die Wärme Siziliens und die Aromen Asiens zusammen.“ Asien ist in seiner Rezeptur unter anderem vertreten durch Koriander und Fischsauce. Das mutet naheliegend an und klingt doch in meinen Ohren zunächst fremd, kann jedoch, je nach Dosage, durchaus raffiniert sein. Ich kann mich beim Würzen mit Fischsauce nicht ausleben, denn der Liebste mag sie partout nicht. Selbst die „Red Boat 40° N“ tut es ihm nicht nachdrücklich an! Manchmal kann man eben nichts machen, als die individuellen Geschmäcker zu akzeptieren. Denn über Geschmack, das wissen wir alle, lässt es sich schwerlich bis überhaupt nicht streiten 😉.

Eifel-Maar (Maria Laach)

Es gibt also das Nationalgericht, die „Caponata“. Heute einmal nicht den Klassiker, an dem ich mich sonst delektiere. Allerdings ist es die Natur der Caponata, dass sie ein süß-säuerliches Geschmacksfeuerwerk bietet. Statt also einer gruseligen „Tarantella“ am Kraterrand eines brodelnden Vulkans, tanzen wir eine beflügelnde kulinarische „Pizzica“, die uns, dem apulischen Volksglauben zu Folge, von allen Übeln heilt! „Viva la gioia de vivere!“ Es lebe die Lebensfreude!

Wer möchte, kann dieses famose Rezept nachkochen.

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