An die Wand gesprüht

Michael Hoffmann – ein Vordenker

 

 

Warum

... für mich ve­ge­ta­ri­sche Ge­rich­te nie­mals ein „Er­satz“ sind!

Anlass

Ein Koch schmeißt sei­nen Stern weg und geht ins Grü­ne.

Ein Ster­ne­koch, 2010 zu­dem von Der Feinschmecker zum „Koch des Jah­res“ ge­kürt, be­gibt sich aus ethi­schen Be­weg­grün­den auf ris­kan­tes Ter­rain. Un­er­schro­cken prä­sen­tier­te er sei­nen Gäs­ten ein acht­gän­gi­ges Ge­mü­se­me­nü. Sprach klu­ger­wei­se zu­nächst nicht groß­ar­tig da­rü­ber und der ei­ne o­der an­de­re Gast soll ob über­ra­gen­der Raf­fi­nes­se der Zu­be­rei­tung über­haupt nicht be­merkt ha­ben, dass Ge­tier auf dem Tel­ler fehl­te.
Angeschnittene Sellerieknolle

Damit die Qualität der Produkte stimmte, baute Michael Hoffmann sein Gemüse vor den Toren Berlins selbst an. Um nah bei der Wahrheit zu sein, kann darüber nachgedacht werden, ob er nicht eher hat anbauen lassen. Allerdings ist es das Ergebnis, das zählt! Die Ernte wurde nicht nur frisch verarbeitet, sondern mittels unterschiedlicher Methoden konserviert und im Keller des Restaurants eingelagert. Heute haben viele Restaurants ihre eigenen Gemüseäcker, allen voran der dänische Spitzenkoch René Redzepi, dessen „Noma“ in Kopenhagen mehrfach zum besten Restaurant der Welt gewählt wurde, und der als Erfinder der neuen nordischen Küche gilt. In seinem „Handbuch Fermentation“ beschreibt er, wie in seinem „Nordic Food Lab“ „Koji“ (Edelschimmel-Pilz), „Kombucha“ (Pilz zum Fermentieren), „Shoyu“ (Sojasauce), „Miso“ (Würzpaste) oder „Garum“ (Würzsauce römischen Ursprungs) hergestellt werden. Das sind nur einige Beispiele dessen, was die von ihm engagierten Wissenschaftler aus Produkten der Umgebung erschaffen. Sein Team zaubert mit diesen Zutaten Sensationen auf die Teller. Das Fermentieren, wie es Redzepi versteht, geht weit über das hinaus, was sich ereignet, wenn sich Weißkohl in Sauerkraut verwandelt.

 

Avantgarde vom Acker

Alles seine Zeit hat, Bewährtes kommt wieder, und nun ist die Zeit gekommen, möglichst viel von dem zu nutzen, was die Natur uns bietet. Wir werden mehr auf dem Globus, und es geht darum, über Ernährung neu nachzudenken. Produkte in völlig neue Ge­schmacks­he­mi­sphä­ren zu heben, zu veredeln, das Beste aus ihnen heraus zu kitzeln. Michael Hoffmann war einer, der vorausgedacht hat, als diese Zeit noch längst nicht gekommen war. Er schockierte die Konservativen „Sterne-Esser“ und verblüffte die aufgeschlossenen. Die großen Kritiker der damaligen Zeit bejubelten ihn, darunter Jürgen Dollase und Wolfram Siebeck. Im Jahr 2010 bezeichnete Letzterer das Restaurant „Margaux“ als „Berlins avantgardistischste Küche“. Das „Margaux“ ist inzwischen Geschichte, denn Michael Hoffmann wurde das Theater um die Michelin-Sterne – wie vielen anderen Köchen auch – schlussendlich zu viel. Seinen Ausstieg aus der Sterne-Gastronomie bezeichnete er selbst als einen Befreiungsschlag. Auch an dieser Stelle bewies er Pioniergeist.

Eine Sellerie-Hymne

Keineswegs profan ist das, was der Visionär der Sterneküche zum schlichten Knollensellerie zu sagen hat. Ich hörte zuvor niemanden so begeistert vom Knollengemüse sprechen und sah nie, wie kompromisslos er bis zum letzten Krümel zu verwenden ist. Der Tagesspiegel führte im Dezember 2012 ein Gespräch mit ihm, das mit dem Statement titelte „Die Seele muss mit dem Kürbis fühlen.“ Fundiertes Wissen und den Respekt vor jedweder Zutat hatte Hoffmann in mehr als zwei Jahren als rechte Hand des Jahrhundertkochs Eckart Witzigmann erworben.

„Ich bin dankbar für die Zeit in der „Aubergine“. Witzigmann brachte jeder Scheibe Lachs so viel Gefühl entgegen, jeder Zwiebel. Ich hatte mal Karotten auf dem Herd und die kochten richtig sprudelnd. „Ey!“, schrie er mich an, „Stell dir vor, du sitzt da in dem Topf!“ Ich dachte, was will der denn von mir?

Nach seinem persönlichen Star unter all dem Grünzeug aus dem Garten befragt, antwortete Hoffmann Folgendes:

Der Knollensellerie. Er ist superergiebig und vielfältig einsetzbar. Er hat Power, das ist der Bodybuilder unter den Gemüsen. Durch ihn brauche ich keine Kalbsknochen, um Kraft in einen Fond zu bekommen. Da geben wir die Schalen vom Sellerie rein, die Wurzeln, das Grün und die Blätter - wumm! Ich kann Sellerie kandieren und süß-würzig machen, ich kann daraus mit Butter und Sahne ein herrlich zartes Püree kochen, ich kann Scheiben der Knolle braten. Aus der Schale mache ich „Erde“, in Anführungszeichen, die wird gewaschen, getrocknet, gemörsert, diesen Crunch streue ich über Salat, das hat Wucht wie geröstete Speckwürfel. Ich verwende sogar die Wurzeln vom Sellerie, die sehen aus wie Rastalocken. Warum soll ich die wegschmeißen? Die Stiele vom Sellerie werden klein geschnitten, getrocknet und kommen ins Kräutersalz. Die Blätter werden blanchiert, püriert und eingefroren, als Basis für Sellerieeis. Von so einer Knolle bleibt nichts übrig.

 

Der Geschmackgeber

Nicht genug schätzen kann man den Knollensellerie, denn ohne seinen intensiven „Umami“-Beitrag wäre in der Küche vieles nicht denkbar. Nicht in meiner Küche und in keiner Sterneküche! Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, das unverzichtbare „Wurzelwerk“ ist ein Multitalent. Bolognese, Suppen- oder Saucenansätze wären ohne seine würzigen ätherischen Öle kraftlos. Schade, dass man ihm die gelblichen „Geschmacksknospen“ im Inneren weggezüchtet hat. So ist er heute zwar makellos weiß, jedoch weniger aromatisch. Daher unbedingt die alten Sorten kaufen, die so schöne Namen tragen wie „Mars“, „Monarch“ oder „Prinz“. Sie unterstützen zahlreiche Gerichte, ohne sich als tonangebender Protagonist aufspielen zu müssen. Den Soloauftritt beherrschen die Knollen allerdings ohne Frage. Man denke an einen frischen Sellerie-Apfelsalat, an ein cremiges Selleriesüppchen oder an ein mit Kartoffel und Sahne aufgemixtes, fluffiges Sellerie-Püree.

 

Ein kreativer Wegbereiter

Von kandiertem Sellerie oder „Sellerie-Erde“, einer aus Sellerie gewonnenen Asche, bin ich noch weit entfernt. Ich denke aber, ich werde mich auf den Weg machen. Längst habe ich meine einstige Einschätzung, über das Kochen und Essen sei alles gesagt, revidiert. Es wird weiter solch kreative Geister wie Michael Hoffmann geben, und auch wenn das Rad nicht neu erfunden wird, wird es weitergedreht. Dermaßen inspiriert, wollte ich mich nun der Wunderknolle auf eine feinfühligere Art zuwenden. Charaktervolle Selleriescheiben aus dem Ofen werden mit Crème aus denselben, „Prosciutto cotto“, hauchfeinem italienischen Kochschinken, und „Scamorza affumicata“, geräuchertem italienischen Käse, gefüllt. Radieschen-Apfel-Tatar im gepickelten Radieschen und Chips von der Moor-Sieglinde machen mein Sellerie-Cordon bleu mindestens gourmettauglich. Auch ohne nach den Sternen greifen zu wollen, steht für mich fest, dass Gemüse glücklich macht. Die Sterne hingegen, haben schon manchen geknechtet und ins Unglück gestürzt! Mut erfordert es, sich für den eigenen, persönlichen Weg zu entscheiden. Gut, wenn Vordenker den Weg bereiten!

Das Rezept dazu auf FoodLady.de

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