An die Wand gesprüht

Meine Güte - Hüte

 

 

Warum

… ich im Herbst noch lieber in den Wald gehe.

Anlass

Ein unerwartet heißer und trockener Sommer und ein Spaziergang im Wald nach einem erfrischenden Regen.

Der Jäger und Sammler in uns übermannt denjenigen, der „in die Pilze geht“. In einen Rausch gerate ich als leidenschaftlicher Pilzsucher auch ohne ein Eckchen von den leuchtend roten Fliegenpilzen zu naschen. Verführerisch ist der Duft nach Pilz und Wald, tief und erdig. Seit früher Kindheit ermahnte mich die Großmutter, niemals ohne Baumwollsäckchen und Taschenmesser in den Wald zu gehen. Man wisse nie! Und sie hatte Recht – wie übrigens oft! Beflügelnd war stets die Vorfreude auf den Fund der behüteten Gesellen. Die Oma kannte sich aus, ich habe gelernt.
Ein Steinpilz am Fuß einer Eiche

Um Steinpilze zu finden, riet uns unsere Großmutter, legt man sich am besten bäuchlings auf die Erde und schaut bergauf. So erkennt man im braunen Laub die hellen Unterseiten besser. Ja, die Oma! Bis heute jedoch habe ich Respekt vor unschöner Wirkweise mancher Pilzgesellen und sammele nur, was ich eindeutig identifizieren kann.

Waren die Körbchen nachhause getragen, wollte die nächste Prozedur zeitnah angepackt werden. Denn vor dem Pilzgenuss stand das Putzen der gefundenen Schätze. Am Tisch saßen sich Sammler und freudig Erwartende gegenüber und erzählten sich Geschichten, während man den Waldduft intensiv einatmete und das Abenteuer noch einmal Revue passieren lassen konnte. Der Stolz auf die Beute flutete einen nochmals.

Der Zauber im Dunkeln

Im Märchenwald

Mit Hut grüßt er zunächst nicht, denn sein Wesen, der eigentliche Pilz, wächst tief in der Erde in einem dunklen, feuchten Reich. Man kann ihn weder sehen, noch vermutet der Unkundige ihn im Verborgenen. Sein ihn beflügelndes Lebenselixier, das Myzel, ist ein – aus Sicht der sich um Ordnung bemühenden Menschen – ein chaotisches Geflecht aus Pilzfäden, den „Hyphen“. Es breitet sich meterweit aus, fräst sich durch die Erde und frisst gierig Nährstoffe in sich hinein. Ich habe mittlerweile verstanden, weswegen die Beschreibung dieser unterirdischen Wegbahnen keinen Einzug in Kinderbücher gefunden haben. Beruhigender sind Bilder von Mützen tragenden Zwergen unter Pilzdächern, gemütlich in Bettchen schlummernd, mit Federbetten bauschig bedeckt. Weckgläschen mit Wintervorräten im Hintergrund gelagert, verheißen Geborgenheit. Noch heute denke ich wohlig an die kleinen, schützenden Behausungen. Ich habe mein „Wichtelbuch“ geliebt und gefühlt tausende von solchen gemütlich anmutenden Szenarien gemalt.

Pilzen auf den Grund gehen

Stockschwämmchen

Pilze sind nicht auf die einfach angelegte, bescheidene Art und Weise einzuordnen, die man ihnen im Unwissen andichtet: „Das ist eine Pflanze mit Hut!“ Zunächst ist die Frage zu klären, was Pilze eigentlich sind. Das Lexikon für Kinder erklärt es knapp und präzise:

Pilze sind Lebewesen. Sie bestehen aus einzelnen Zellen mit einem Zellkern. Sie bilden in der Biologie ein eigenes Reich neben den Tieren und den Pflanzen. Sie sind den Pflanzen ähnlicher, da sie sich nicht selbst fortbewegen können.

Sie sind also keine Pflanzen im engeren Sinn, machen jedoch bezüglich ihrer Ernährung weder vor Pflanzen, Wurzeln, noch Insekten und auch nicht vor Artgenossen Halt. Was sich im Boden vor ihrem Schlund findet, ist willkommen. Pilze sind aufgrund ihrer Nährstoffaufbereitung wiederum dem Tier ähnlicher als der Pflanze, denn sie verdauen mit Enzymen und leben ohne Fotosynthese.

Von Sommer bis Herbst tauchen sie dann mit ihren behüteten Fruchtkörpern aus der Unterwelt auf. Um zusätzliche Oberfläche zu schaffen, auf der das Erbmaterial heranwächst, sind die Hüte an der Unterseite mit Röhren, Stoppeln oder Lamellen ausgestattet. Der Sinn des Sprießens nach oben ist somit allein die Verteilung der Sporen.

Aufrecht im Regen

Ein raffiniertes Detail hat sich die Schöpfung ausgedacht, denn die schützenden Schirme richten sich stets in der Waagerechten aus, damit die Sporen nicht durch Wettereinflüsse verderben. Stürzt ein Baum um, an dem ein Pilz wächst, richtet dieser seinen Schirm erneut horizontal aus 🙄.  Einige Pilze schicken ihre Sporen mit dem Wind auf die Reise, andere, wie die aufgeplusterten Boviste zerstäuben sie beim Bersten durch Druck. Übrigens hat man uns als Kinder stets vor den Bovisten gewarnt: Zu gerne hatten wir sie, am Wegrand stehend, zertreten, um sie „stäuben“ zu sehen. Man sagte uns, der austretende Staub mache blind. Schon war Ruhe und die Füße wurden wieder geradeaus gelenkt. 😉 Wie ich heute weiß, kann man einige Boviste im jungen Alter verspeisen.

Verschiedene Pilze

Auf der Wanderschaft

Andere Pilze haften sich zwecks weiterer Verbreitung an Insektenbeinchen und lassen sich in neue Gefilde tragen. Der Trick der Stinkmorchel oder des schleimigen Tintenfischpilzes ist das Bilden von schmodderigem Glibber, den Fliegen und Käfer lieben und verbreiten. Nicht appetitlich, doch effektiv! Wie raffiniert kann ein „Lebewesen“ ohne Bewusstsein sein, um sich weiter zu verbreiten? Die kostbaren Trüffel wiederum kommen überhaupt nicht ans Tageslicht, sondern lassen sich von Schweinen oder Hunden erschnüffeln, ausbuddeln, fressen und irgendwo anders dann wieder absetzen. Hier ist also die Losung die Lösung 😉!

Sachverstand beim Überstand

Baumpilze

Einige Pilze sind extrem giftig. Ein einziges Exemplar in der abendlichen Pilzpfanne und die Sammelaktion findet ein übles Ende. Im Extremfall tatsächlich ein Ende! Andererseits schenkte uns der Pinselpilz (Pinselschimmel) das erste Antibiotikum: Penizillin.

Dass Pilze Medizin sind, wusste schon Ötzi. Er hatte zwei Birkenporlinge als Reiseapotheke im Gepäck. Dieser Baumpilz hilft unter anderem bei Entzündungen und Magenproblemen. Die Identifizierung der Pilzkörper ist oftmals selbst für Pilzkenner knifflig, denn wie bei den Menschen gibt es auch unter den Pilzen Doppelgänger. Dem Steinpilz ähnlich ist der Schönfußröhrling. Der ist jedoch durch Fingerdruck auf die Hutunterseite zu enttarnen, denn er läuft umgehend blau an. Außerdem besitzt er einen schönen rötlichen Stiel. Tödlich ist er nicht, jedoch gallebitter. Brutaler ist der gräuliche Pantherpilz, den man schon deswegen nicht ins Körbchen legt, weil er dem Fliegenpilz ähnlich sieht. Stockschwämmchen haben ebenfalls einen Doppelgänger, den Gifthäubling. Aber nicht nur Giftpilze sind giftig, einige Speisepilze sind, betagt, im Fachjargon „überständig“, noch viel giftiger.

Vor einiger Zeit machte eine spektakuläre Geschichte aus einen spanischen Sternelokal Schlagzeilen. Zwischen die vom Spezialisten gelieferten Morcheln war wohl eine giftige „Lorchel“ geraten – da haben wir einen weiteren fiesen Doppelgänger, kaum zu unterscheiden. Die Frau, die sie verspeiste, starb noch in der Nacht qualvoll.

Bauchgefühl statt Bauchweh

Dunkelvioletter Schleierling

Viele Giftpilze, wie der dunkelviolette Schleierling, der grünblättrige Schwefelkopf, der Habichtspilz oder der Buchenschleimrübling sind schon rein äußerlich eher hässlich oder unappetitlich, so dass man vorm Einsammeln automatisch zurückschreckt. Bei der Entscheidung, was man nicht nimmt, kann das Bauchgefühl nur nützlich sein! Verlassen kann man sich darauf aber nicht. Der Grüne Knollenblätterpilz kann auf den ersten Blick mit dem Champignon verwechselt werden. Grün ist er nicht immer, doch die riesige Knolle an der Wurzel enttarnt ihn. Möchte man jemanden langfristig „peu à peu“ um die Ecke bringen, wäre der Kahle Krempling zu empfehlen. Er galt noch bis vor wenigen Jahren als essbar, ruft jedoch bei wiederholtem Verzehr, zunächst unbemerkt, schwere bis tödliche Autoimmunkrankheiten hervor. Nicht ganz so fies ist der falsche Pfifferling, das Double des echten Pfifferlings. Er tut nichts Böses, schmeckt jedoch übel.

 

Freunde im Leben

Pilze haben jedoch deutlich wichtigere Aufgaben, als uns kulinarisch zu verwöhnen oder um die Ecke zu bringen. Das ist nur ein Nebenjob. Pilze räumen beharrlich unsere Wälder auf, futtern sich zum Beispiel durch riesige umgefallene Bäume. Das Holz würde durch Umwelteinflüsse alleine nicht zerfallen und sich irgendwann in den Wäldern stapeln. Und sie leben in bestem Einvernehmen mit den Wurzeln der Bäume, ernähren sich von deren Zucker und geben ihnen Nährstoffe und Feuchtigkeit zurück. Wenn man sich Zeitrafferaufnahmen oder Modelle über die Myzele anschaut, so ist der Eindruck gewaltig. So großartiges, hochvitales Leben tobt da völlig unbeachtet und lautlos unter dem Waldboden.

Artenvielfalt

Pilze am Waldboden

Die Pilze unterstützen die Stoffkreisläufe, denn sie recyceln die Abbaustoffe und geben die frei werdenden Mineralien wieder an die Natur zurück. Speisepilze sind proteinreich und somit sehr nahrhaft. Sie enthalten viel Vitamin B und D und helfen damit unserem Körper auf die Sprünge, ähnlich in der Wirkung wie Sonnenlicht. Über 20.000 Pilzarten sind allein in Deutschland bekannt, weltweit sind an die 120.000 Arten gelistet. Pilze gibt es in allen Klimazonen, vom Pol bis zur Wüste. Einige überdauern nur einen Tag, andere Jahrzehnte. Wenn es ihnen zu trocken wird, kooperieren sie mit Feuchtigkeit spendenden Algen und mutieren zur Flechte. Pilze können fast alles.

Ein Birkenwald und ein Steinpilz

Mich können sie immer aufs Neue verzaubern und entzücken. Wenn ich einen kleinen knubbeligen Steinpilz unter einer Birke oder Eiche stehen sehe, lacht mir das Herz.

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