An die Wand gesprüht

Tellerhandschrift. Klaus Erfort

 

 

Warum

... ich diesen besonderen Abend in der Küche nicht mehr vergessen werde.

Anlass

Eine nicht erfolgte Tischreservierung im GästeHaus Erfort.

Keine Fehler. Keine Patzer. Keine Schwächen. Nie! Innovativ, kreativ, präzise. Immer! Das ist anstrengend. Das ist Alltag in der Sterneküche. Klaus Erfort sagt: „Die Wahrheit liegt auf dem Teller“. Tagtäglich muss er das aufs Neue beweisen.
Klaus Erfort (Gourmet Connection GmbH)

An meinem Geburtstag wollte ich ins „GästeHaus Erfort“ essen gehen. An diesem Tag habe das Restaurant geschlossen, da Herr Erfort einen Kochkurs halten würde, teilte man mir mit. Normalerweise keine Chance, einen Platz zu ergattern. Ja, gerade seien krankheitsbedingt zwei Plätze frei geworden. „Hurra!“ Weil geteilte Freude doppelte Freude ist, habe ich für den Liebsten gleich mit gebucht. Wir werden diesen aufregenden Abend in edlem Ambiente und das gemeinsame Kochen mit dem freundlichen Team von Klaus Erfort nicht vergessen. Das Essen war köstlich, Champagner und Weinbegleitung nicht minder. Ein Erlebnis wurden der gemeinsam verbrachte Nachmittag und der lange Abend durch die Geselligkeit und die Gespräche mit Gleichgesinnten, dem Sterneteam und natürlich mit „ihm“.

Treffpunkt: zwischen Oktan und Lumen

Zwischen Aral-Tankstelle und Lampenstore in der Saarbrücker Innenstadt steht unauffällig, etwas zurückgebaut, das „GästeHaus Erfort“. Seit 2008 wird das Restaurant mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Darüber hinaus mit allem, was an Auszeichnungen möglich ist. Das schlichte Namensschild erzählt davon nichts. Kein Protz, kein Getöse. An diesem grauen Januar-Nachmittag ist das Restaurant geschlossen, Gasträume und Küche jedoch sind hell erleuchtet. Durch bodentiefe Glasfronten sieht man im Anbau neben dem Hauptgebäude Gestalten in weißen Jacken in ruhiger Choreografie zwischen glänzendem Edelstahl werkeln. Gewaltige Bäume im Park dahinter sind schemenhaft zu sehen. Leise Geräusche, Klappern und Geplauder dringen nach draußen. Nach und nach trudeln Gäste zum Kochkurs ein.

„KE“ auf der Schürze

In der Küche

Klaus Erfort steht in Kochjacke und Sneakers im Entree, lässig an ein Sideboard gelehnt: braune Augen, ernster Blick, fester Händedruck. Seinen Gästen reicht er mit „KE“ bestickte schwarze Stoffschürzen, doch der eine oder andere Teilnehmer zieht cool die Schürze vom letzten Jahr aus der Tasche. Die vom Orgelbauprofessor aus Graz – wilde weiße Haare, starker „Schmäh“ – ist verwaschen und zeigt deutliche Gebrauchsspuren. Der Restaurantleiter reicht Champagner. In einer großen Silberschale warten, auf Eis gebettet, steingraue Austern. Die Gäste gehen zaghaft auf Tuchfühlung, wollen wissen, wie „es“ so ist, mit den Sternen, dem Ruhm, dem Druck. Sind offensichtlich neugierig, wie „er“ ist, der als „der Stillste“ unter den Sterneköchen gilt. Den Grundgedanken seiner Küche erklärt er unmissverständlich: „Wir verfolgen eine klare Linie. Die Kunden sollen uns verstehen, nachvollziehen können, was wir ausdrücken wollen.“ Die transparente Architektur der Küche spiegele diesen Stil. Die Küche ist genau genommen ein überdimensionierter Wintergarten, großzügig ausgestattet mit blitzendem Edelstahl.

„Ja, Chef!“

Das Geschehen nimmt Fahrt auf. Einige Gäste scharen sich um den „Saucier“. Er zeigt, wie Kalbsbäckchen, so groß wie eine hohle Frauenhand, „pariert“ werden. Was am Längsten dauert, wird zuerst „geschoben“. Er sagt, das Küchenlatein sei kein Firlefanz. Die deutliche Sprache hingegen oft die Rettung. „Immer eine klare Ansage. Immer eine Antwort.“ „Ja, Chef!“, hört man immer wieder. Schnippelnde Teilnehmer füllen die in Reih und Glied bereitgestellten Edelstahlbehälter für die „Mise en Place“ mit Lauchstreifen, Karotten- und Selleriewürfelchen, Scheiben vom Steinpilz. Vorm Einsatz mit den scharfen Messern eine Anleitung: Die Fingerkuppen und Daumen nach innen klappen, weg vom Messer. „Alles klar? Dann los!“. Und Obacht, die kleine Mandoline zum Trüffel hobeln habe es ebenfalls in sich!

Schwungvoll würzen

Kalbsbäckchen würzen

Ich gab mich professionell, als ich die Kalbsbäckchen von weit oben herab salzte, mit beherztem Schwung. Hatte Mut zu schauen, wie die blauschwarzen Hummer mit ihren gefesselten Scheren in sprudelndes Bad versenkt wurden. In einen riesigen Topf kam jeweils ein Tier, und zwar mit Kopf nach unten. Der sofortige Tod, sagte man uns, sei garantiert. Das habe ich gerne geglaubt. Das Lauchschneiden schien mir unverdächtig, und ich habe mich freiwillig gemeldet. Doch auch das verlangte einiges ab, denn nicht Ringe oder Streifen, nein Rauten waren zu schneiden. Warum? Ein so besonderes Gericht verlange nach besonderer Hinwendung, und Lauch, in winzige Rauten geschnitten, sei angemessen. Also schnitt ich eine gefühlte Stunde lang unter Tränen Lauchrauten! Kurze Unterbrechung beim Schneiden, alle Mann zum Meister. Mit gekonnten Schnitten unter Krafteinsatz zerteilt er die nun leuchtend roten Hummer. Trockenen knackend öffnen sich die Panzer und legen das helle Innenleben frei. Die passende Stelle, um Regionalität zu thematisieren. Hier gebe es natürliche Grenzen. Die Hummer leben nun einmal an der bretonischen Küste. Der Erfort-Klassiker „Kleiner Gemüseacker“ dagegen wird saisonal und regional bestückt. „Wir brauchen Hummer, Jakobsmuscheln oder Tiefseefisch auf der Karte. Die Hühner aus der Bresse. Die Gäste erwarten das. Wo beste Produkte nahe sind, greifen wir natürlich darauf zurück.“

Blubbernde Seelen

Temperaturdisplay

Nächster Schauplatz: Aus dem Hightech-Ofen mit einem Bedienerfeld so groß wie ein iPad werden Bleche mit geschmorten Kalbsknochen geholt. Kräftige Röstung, strenger Geruch. Einer der Köche gibt die heiß knisternden Knochen mit bloßen Händen – „Alles eine Frage der Gewohnheit!“ - in einen hohen Topf mit Wurzelgemüse, Kalbsfond und Burgunder. Ein Teilnehmer will es wissen, langt einen der Knochen an, zuckt zurück, der Mund formt ein tonloses „O“. Der Koch lächelt. In den nächsten Stunden erlebt man, wie in dem brodelnden Topf aus dem Saucenansatz ein dunkler Jus entsteht. Ein halber Liter samtiges Geschmackskonzentrat, in Spuren zu dosieren! Auf diesem Posten blubbern die Töpfe beinahe Tag und Nacht.

„Die Fonds sind die Seele jeder guten Küche!“

Fester Tritt am Pass

Arbeit am Pass

„Fleisch fertig, Jus soweit, Beilagen klar?“ Im Chor „Ja, Chef!“ Schlagartig ändert sich die Atmosphäre im Raum. Die Kalbsbäckchen sollen auf die Teller. Vier Mann eilen zum Chef an den „Pass“, Konzentration auf hundert! Der mindestens vier Meter lange Edelstahltresen ist die finale Arbeitsbühne. Glänzende Lampen an robusten Spiralkabeln werden heruntergezogen. Synchron, tausendmal geübt! Das rot leuchtende Wärmelicht taucht die aufgereihten Teller in eine unwirkliche Atmosphäre. Die Köche platzieren in typisch gebeugter Haltung konzentriert zwölf Komponenten auf zweiundzwanzig Teller. Jeder Handgriff sitzt. Pinzetten, Löffel und Spritzbeutel folgen einem einstudierten Ablauf. Beim großen Menü sorgen schlicht präsentierte Gänge für Verschnaufpausen, auch beim Gast. „Die Sinne sollen überrascht aber nicht überfordert werden.“

 

Kurzes Küchengeplauder

Zwischen gratiniertem Hummer, Pilz-Tarte mit Périgord-Trüffel und Kalbsbäckchen auf Selleriepüree bekommt das Tischgespräch an einer Tafel im kleineren Gastraum Tiefgang. Fragen prasseln auf Klaus Erfort ein. Wann er endlich ein Buch schreiben werde, er lächelt, man kann ahnen, es kommt was. Wie es mit Kochshows stehe, und warum man ihn dort nicht zu sehen bekommt. „Man kann in seinem Laden sein, oder überall sonst.“ Dennoch, man werde ihn sehen!? Die Zufriedenheit der Gäste stehe jedoch stets an erster Stelle: „Die Gäste sollen wiederkommen.“ Stammgäste bestätigen den Benchmark und geben Feedback. „Das ist uns enorm wichtig, denn so wissen wir, dass wir mit unserem Leitbild richtig liegen! Erfort sagt, er habe keinen finanzkräftigen Sponsor im Rücken, das bedeute ein gewaltiges unternehmerisches Risiko. Der Wareneinsatz muss punktgenau kalkuliert sein. „Das muss man erst einmal stemmen!“ Er spricht über das Leben mit drei Sternen gelassen und unverblümt. Mit Glamour, sagt er, habe das nichts zu tun, auch wenn „Sternetouristen“ aus aller Welt das Restaurant besuchen. Viele Betuchte und Prominente, Namen gibt es selbstredend keine. Erfort ist jedoch keiner, der im Restaurant die Runde dreht und Honneurs macht. Seinen Platz sieht er in der Küche.

Luft-Zuckerkugeln mit Mango

Herstellung von Dessertkugeln

Viel Zeit verbrachte ich am Dessert-Posten. Matthias Spurk wurde 2017 vom Gault Millau zum „Patissier des Jahres“ gekürt. Der erfrischend bodenständige Mann mit tadellos gepflegtem Bart und Tattoos an trainierten Oberarmen fertigte etwas, was aussah, wie Weihnachtsbaum-Schmuck. Er ließ üppige Zuckerkugeln entstehen, köpfte sie behutsam mit einer Küchenschere und füllte sie mit Mango-Crème. Neben den Kunstwerken, die als Dessert kredenzt wurden, sah ich die Kleinigkeiten, für „danach“ entstehen: Pralinés, Macarons, Trüffel, winzige Baumkuchen, gefüllte Mürbeteigschiffchen und vieles mehr. Ich lernte, dass auch zum Schluss immer noch was geht, wenn es nicht zu süß wird und Schärfe, Gewürze oder anregende Kräuter ins Spiel kommen.

Die Wahrheit liegt auf dem Teller

„Die Wahrheit liegt auf dem Teller!“. Die Gäste der Küche im GästeHaus Erfort konnten ein Stück von dieser Wahrheit erleben und kosten. Wurden großzügig bewirtet, mit den Grundlagen in einer von Deutschlands besten Küchen vertraut gemacht, umsorgt und unterhalten. Tadellos bewirtet wird man in einem Restaurant dieses Kalibers immer. Sich in den „heiligen Hallen“ zu bewegen, Können, Mühen und Spirit zu erfassen, die dahinterstehen, ist etwas anderes. Die Faszination eines solch besonderen Ortes hinter den Kulissen zu erleben, ist unvergesslich. Die Gäste hatten gestaunt, geredet und gelacht. Sie wirkten beflügelt und bereichert. Es ist spät geworden, und die Hände werden lange geschüttelt.

Roh marinierte Jakobsmuschel mit Austern-Sorbet und Curry-Vinaigrette
Roh marinierte Jakobsmuschel mit Austern-Sorbet und Curry-Vinaigrette

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