An die Wand gesprüht

Genial normal – Alfred Biolek

 

 

Warum

... ich manchmal länger vor dem TV sitzenblieb.

Anlass

Der Tod von Alfred Biolek.

Bahnbrechend, einfallsreich oder brillant lauten Attribute für Menschen, die als „genial“ gelten. Menschen also mit schöpferischer Leuchtkraft. Als typisch, unkompliziert und natürlich ordnet man hingegen charakterliche Eigenschaften ein, die als „normal“ empfunden werden. Normal im Sinne von ungekünstelt und glaubwürdig. Wenige Menschen sind mit einer Kombination beider Charaktereigenschaften ausgestattet und auf ihre besondere Art und Weise einerseits „genial“, andererseits „normal“. Genial normal, so war Alfred Biolek.

Alfred Biolek war keiner von den „Lauten“, den Marktschreiern, die großen Wirbel um sich selbst veranstalten. Lebhaft und äußerst lebendig ging es in seinen Sendungen zu. Auf die damals übliche „Showtreppe“ für den bis ins Letzte ausgefeilten und ausgeleuchteten Auftritt legte er keinen Wert. Er präsentierte anspruchsvolle Konzepte, wobei er sich als Moderator auf eine ungewöhnliche, subtile Weise im Hintergrund hielt. Die Auswahl der Gäste in den Sendungen war ebenfalls ungewöhnlich. Bereits bekannte Künstler fanden sich neben unbekannten Akteuren und Formationen im Sendestudio ein. Ob es jugendliche Nachwuchsbands oder Bläser- und Vocal-Gruppen waren, Biolek folgte seinem Bauchgefühl und seiner Begabung, das Wesen der Menschen und deren Talente zu erkennen. „Bio’s Bahnhof“ und später „Boulevard Bio“ bestätigten, dass er auf Erfolgskurs war.

Dialog auf Augenhöhe

Interessante Gespräche mit bekannten Persönlichkeiten und daneben Erzählungen von Menschen, die etwas Außergewöhnliches zu berichten hatten, waren fester Bestandteil der Sendungen. Bei Biolek kam es immer auf die Mischung an. Er hatte zu dieser Mischung seine persönliche Vision und bis heute tat sich aus meiner Sicht kein vergleichbares Konzept in der Abendunterhaltung hervor. Es gibt Shows mit internationalen Gästen, es gibt intellektuelle Gesprächsrunden und es gibt Moderatoren, die den Sendungen ein gewisses Maß an Persönlichkeit verleihen. Doch inzwischen scheuen sich Programmverantwortliche vor „komplizierten“ Genres. Man glaubt, dass der Zuschauer von heute schnell überfordert ist, überdrüssig wird und weiterzappt. Bioleks Konzepte waren mutig, kreativ und – innovativ.

In den siebziger Jahren wurde im deutschen Fernsehen die „Talk-Show“ eingeführt. Ein wagemutiger Schritt, der bereits vor der ersten Sendung von Unkenrufen und ablehnenden Einschätzungen flankiert wurde. Erste „Talk-Master“ wurden verrissen, das „Dauergerede“ von vielen Zuschauern als Zumutung empfunden. Möglicherweise lag es daran, dass die Plaudereien langatmig und bisweilen bemüht wirkten. Manchem Moderator standen die Schweißperlen erkennbar nicht allein wegen der Hitze durch die Studio-Scheinwerfer auf der Stirn. Biolek jedoch schuf in späteren Jahren mit der Art seiner entspannten und unkomplizierten Art nach und nach einen bis dahin nicht gekannten Standard in der Gesprächsführung. Er legte die Latte hoch und blieb unverkrampft und locker, im übertragenen Sinne „zum Anfassen“.

Gespannt zuhören und zuschauen

Logo von „Boulevard Bio“ (© WDR)

Alfred Biolek sagte einmal, er sei immer in erster Linie Gastgeber. Und insbesondere seine Gastgeberschaft festigte im Laufe vieler Sendungen mit zahlreichen illustren, nicht immer unkomplizierten Gästen, sein Renommee eines Könners der Materie. Heute gibt es quer durch die Programmangebote zwar Moderatoren und „Master“ unterschiedlicher Spiel- und Ratesendungen oder Shows, die ihre Disziplin beherrschen. Moderatoren arbeiten in Studios mit gewaltiger, dauerblinkender Deko. Fortwährend wird Wissen abgefragt und richtige und falsche Antworten mehr oder weniger „smart“ kommentiert. Dazwischen findet sich kaum eine Nische für eine individuelle Moderations-Bravour. War es nun für Biolek einfacher, keinen „Benchmark“ zu haben, sondern sein „eigenes Ding“ zu machen? Geschadet hat es offensichtlich nicht. Er hat es seinem Publikum ermöglicht, zu staunen, einzutauchen und sich neugierig auf Kommendes zu freuen.

Aufgrund des Todes von Biolek machte ich mich in den Mediatheken auf die Reise, betrieb Rückschau, traf auf Altbekanntes und Neues, und ließ das Alles noch einmal Revue passieren. Erst heute, im Vergleich mit massentauglichen, breit angelegten Produktionen wird mir bewusst, wie Vieles im Laufe der Jahre seinem genialen Geist entsprungen ist. Er hatte nicht nur eine Vorstellung, die heute gerne als Vision bezeichnet wird. Für ihn war die Vision mehr als ein Zukunftstraum, er fand Mittel und beschritt Wege, seine Vorstellungen durchzusetzen. Die von ihm erdachten Formate etablierten sich schnell als „Gegenmodelle“ zu dröge-reizfreier Abend-Show-Unterhaltung. Der Plan ging auf!

Begegnungen im Depot

Alfred Biolek, Sammy Davis jr, Milva (© WDR)

Internationale Künstler traten in „Bio’s Bahnhof“ auf, darunter bedeutende Popstars, namhafte Vertreter der Klassik, des Balletts, aber auch Newcomer, talentierte Youngster und Spartenkuriositäten wie Jagdbläser. Bei „Bio“ durfte man auf Überraschungen gefasst sein und wurde nicht enttäuscht. Auf „Bio“ war Verlass! Er hat damals eine namhafte Künstlerin überredet, „Sah ein Knab‘ ein Röslein stehn“ zu interpretieren. Eine ebenso bescheidene wie herzzerreißende Darbietung! Er hat einer scheuen Newcomerin die Weltkarriere prophezeit, die sie nach ihrem ersten Fernsehauftritt bei ihm tatsächlich gestartet hat. Die ultimative Bigband der deutschen Jazz-Landschaft unter Leitung des phänomenalen Peter Herbolzheimer hat die Sendungen über Jahre begleitet. So ergab die Ansammlung immer neuer und herausragender Preziosen dem Spektakel schließlich einen unverkennbaren und unverwechselbaren Charakter. Nicht zuletzt trug die nach langem Suchen gefundene Location dazu bei: das ausrangierte Eisenbahndepot der Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn. Urig, authentisch und der genau richtige Platz für Gespräche und Kunst tiefsinniger und bunter Couleur und nicht zuletzt hochkarätiger Unterhaltung!

Geplauder am Beistelltisch

Karl Lagerfeld, Alfred Biolek, Claudia Schiffer, v. l. n. r. in Boulevard Bio (© WDR)

„Boulevard Bio“ war ebenfalls ein angesagter Publikumsliebling, weil die Zuschauer auch hier goutiert haben, dass Inhalte gegen den Strich gebürstet waren. Zudem war Biolek ein Meister des Zuhörens und wurde nie bedrängend oder drängelnd. Er nahm sich Zeit zur späten Sendezeit! Illustre Persönlichkeiten nahmen auf den zierlichen Stühlen zwischen filigranen Beistelltischchen in einem ehemaligen Ballett-Probesaal Platz. Dahinter der Blick auf das nächtliche Köln. Prominenz, die man bis dato erstmals in lockerer Gesprächsrunde im deutschen Abendprogramm sah. Der Begriff „Show“ will mir nicht flüssig über die Lippen, denn es ging um mehr als um Sofa-Unterhaltung, begleitet von Chipstüten. Immer mehr schätze man Bioleks gekonnt unangespannte, fast leichtfüßige Gesprächsführung. Viele seiner Gäste kamen, weil sie zu „ihm“ wollten. Sie konnten sich „zeigen“, ohne sich vor Häme und Fehlinterpretationen fürchten zu müssen. Biolek verstand es, dass sie sich ihm und den Menschen vor den Bildschirmen öffneten. Dabei trat er dem Gast weder zu nahe, noch überschritt er die Grenzen des guten Geschmacks.

Von Küchenrollen und Gasflammen

Intro zu Alfreddismo (© WDR)

„Alfredissimo“ war auf den ersten Blick eine Kochsendung, die jedoch Tiefgang bekam, weil sie von Klugheit und Geist getragen war. Die Unterhaltung zwischen Gast und Gastgeber fand, wie im normalen Leben, in lockerer Stimmung in „seiner“ nachgebauten Küche bei einem Gläschen statt. Alles in seiner Küche war wohltuend praktisch und unkompliziert wie er selbst. Utensilien hingen an der Wand aufgereiht parat, Teller standen in offenen Regalen und als Servietten diente die gute alte Küchenrolle. Gegessen, getrunken und parliert wurde stehenderweise locker an der Arbeitsfläche, gleich neben dem Herd. So hatte man seinen Spaß und doch alles im Auge. Da konnte nichts anbrennen! Und wenn doch, Küchenpannen wurden nicht etwa verschwiegen, sondern launig kommentiert. Es war gemütlich, das gemeinsame Kochen sollte unkompliziert sein und Spaß bereiten. Sich im Nachhinein die Gästeliste anzuschauen, ist beeindruckend. Für Besserwisserei gab es keinen Raum!

Seine Gäste führte er mit Neugier und bisweilen Geduld durch den „Küchenbesuch“. Schauspieler Helmut Berger war einmal zu Gast und ich wusste, dass er ein Künstler von großer Bedeutung war. Bioleks gelassene Moderation zu erleben und mir gleichzeitig mich in dieser Situation vorzustellen, hatte etwas Skurriles. Denn was hätte ich getan, um die Situation zu retten, als nur noch blieb, den Gast auf einen Stuhl zu verfrachten. So konnte er nicht vollends außer Kontrolle geraten.

In einer der beeindruckendsten und auch der letzten Sendung der Reihe „Alfredissimo“ kochte Biolek mit Alice Schwarzer. Dass die Beiden beste Freunde waren, konnte man fühlen. Die Echtheit und Offenheit der gegenseitigen Zuneigung wahr berührend. Schwarzers kleine Panne mit einer Mayonnaise, die nicht fest werden wollte, machte die Küchenszene noch sympathischer! Pannen hatten durchaus ihren Platz und wurden gerade nicht vertuscht.

Ein Gastgeber mit leisen Tönen

Alfred Biolek (Vorlage: WDR/Michael Fehlauer)

Bioleks Sendungen erzielten „Quote“, das heißt, sie wurden kontinuierlich und von einer großen Fangemeinde eingeschaltet. Lange schon gelten Einschaltquoten als ultimativer Erfolgsindikator. Ich finde, es gibt durchaus Wichtigeres, denn es geht nicht allein darum, massentaugliche Inhalte zu vermitteln. Viele sogenannte Quotenrenner sind morgen Schall und Rauch. Sie bilden den Medienkonsum einer schnelllebigen Zeit ab, in der vor allen Dingen die Flucht in die Ablenkung gesucht wird. Die Nachrufe für Alfred Biolek waren sich über seine herausragenden Qualitäten und die bahnbrechende Entwicklung in der Talk- und Entertainment-Unterhaltung einig. Und auch vielen Menschen bleiben Erinnerungen an schöne Momente. In Vergessenheit geraten wird der Mann mit dem rollenden „R“ und der Nickelbrille sicher nicht bei all denen, die viele Jahre ihres Lebens mit ihm geteilt haben. Er war brillanter Fernsehschaffender, ein hervorragender Moderator, ein vorbildlicher Gastgeber und Mensch durch und durch, wohltuend „cool“. Ein weltoffener Intellektueller mit großem Herzen und herausragender Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit, die für unterhaltende Abendshows erneut wieder zu finden ist. Meine Überzeugung steht fest! Statt fade und schal: Genial normal!

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