An die Wand gesprüht

Bye-bye, Bye-bye!

 

 

Warum

... ich lieber „Hallo“ als „Bye-Bye“ sage.

Anlass

Ein Lied, das mich erst total geflasht und später zum Nachdenken gebracht hat.

„Aus meiner Sicht reicht es langsam. Ich hab‘ keine Lust mehr! … Ich hab‘ heute nichts zu tun. Und die Welt hat heute zu. Ich hau mich einfach wieder hin, denn alles andre macht ja eh kein'n Sinn.“ Der Corona-Blues-Song von Sarah Connor sprach mir beim ersten Hören aus tiefstem Herzen. Mir traten Tränen in die Augen, denn irgendwie fühlte ich mich verstanden, abgeholt aus meiner wunden Mitte. Doch dann fragte ich mich, ob „Bye­-bye“ für mich ein zielführender Weg wäre. Fortrennen oder einfach Durchschlafen scheinen mir keine Lösung zu sein.
Gewitterwolken

Auch ich habe sie satt, die nervenzehrenden Gespräche, das zähe Ringen der Politik, das zögerliche Handeln, das der Situation unangemessene schleppende Hinterherrennen. Die täglich wechselnden Informationsfetzen, die mir um die Ohren fliegen. Die Kraft, die ich benötige, das alles einzuordnen und meinen Seelenzustand in Schach zu halten. Zumindest einigermaßen! Drosten und Lauterbach sind meine verlässlichen Stützen, doch können sie mich selten beruhigen. Langsam jedoch kommt Fahrt auf und das oft bemühte „Licht am Ende des Tunnels“ gerät ins Blickfeld. Auch ich habe Sehnsucht nach Abstand, gemeint ist diesmal die uns alle beherrschende Situation. Abstand auch nach Rasten, nach Auszeit. Auszeit allerdings nicht im Sinne von Koffer packen und „weg und fort“. Auszeit im Sinne dessen, dass das Hirn mehr und mehr „Ratterpausen“ einlegen und mein Magen sich endlich beruhigen kann. Denn gelegentlich überkommt mich zu viel Säure und ich muss mir öfter einmal mit ein paar Kräuter-Tröpfchen helfen!

Fitness Diaspora

Zeichnung: Hanteln stemmen (Vorlage: Martine Savard, Pexels)

Viele wollen weg, in den Urlaub – wie früher. Ich will zuallererst weg vom Virus, weg von dem nervigen Fragen, wann ich in der Impfpriorisierung an der Reihe sein werde. Wie hätte ich jemals vorher denken wollen, wäre ich doch ein paar Jährchen älter! Wann für mich wieder so etwas wie Alltag ohne Schnelltest beginnen wird, frage ich mich. Wage jedoch nicht, mir die Antwort zu geben. Oh, was fiebere ich den Besuchen im Fitness-Studio entgegen. Es ist nicht das Gleiche, im Wald umherzuspurten, oder zuhause mit Gewichten zu hantieren und sich an Video-Treatments abzumühen. Natürlich geht das auch, doch für mich ist es nur ein Teil-Ersatz! Ich kann nicht ohne Natur und draußen zu sein und zugleich will die schöne Atmosphäre und die gepflegte Musik im Studio wieder haben. Wünsche mir, die seit Jahren bekannten Menschen zu treffen, will zum Ausdauertraining meine Thriller auf dem E-Book verschlingen. Sehne mich danach, den sich vermischenden Duft nach frisch gebrühtem Kaffee, Duschgel und Deo wieder wahrzunehmen. Ich brauche die Mélange aus Vertrautem und die Stabilität, die eine Art von Geborgenheit beschert. Und das ist jetzt nur eine Baustelle!

Auszeit und Rückschritt

Flugzeug im Steigflug

Als ich um Ostern herum den Run „Alle nach Malle“ vor Augen hatte und die Flieger im Minutentakt gen Süden jetteten, wurde mir regelrecht schlecht. Ich stellte mir die möglichen Folgen vor. Krass sind sie nicht eingetreten, dank der Schnelltests, und inzwischen wissen wir sicher, was schon lange vermutet wurde: Das gefährlichste Geschehen ereignet sich unbemerkt in privaten und geschlossenen Räumen. Wer weiß, was im Haushalt, und von wem alles eingeschleppt wird. Urlaub bedeutet begrenzte Auszeit, Abschalten, Genuss und für den einen oder anderen Abenteuer. Mal was Neues erleben. Doch die Tretmühle für kurze Zeit zu verlassen, um dann vielleicht mit mutiertem Virus und hohem Risiko für alle in dieselbe zurückzukehren, gilt für mich im Angesicht des wendigen winzigen „Giganten“ als Mini-Trostpflaster mit fragwürdigen Versprechungen und möglicherweise schwerwiegenden Folgen. Die alten Muster können zurzeit die falschen sein, und neue haben wir noch nicht stabil entwickelt. Wir sind derzeit in einer Art „Übergangszeit“. Wir werden nicht aufwachen und „alles ist vorbei“. Ich erlebe den Weg zurück in die Normalität gerne bewusst. Ich freue mich an jedem Schrittchen, das wieder möglich ist. Die Schnelltests mögen manch einen nerven, doch sie tun nicht weh, und schenken mir Sicherheit, zum Beispiel beim Friseur-Besuch!

Aluhüte im Einsatz

Aluhutträger

Ich hoffe, der Wahnsinn der Querdenker, Corona Leugner, Wutbürger und Aluhüte-Fetischisten ebbt langsam ab. Schaute ich in den letzten Monaten dem sinnentleerten Treiben zu, wurde ich immer öfter wütend oder sauer. Ich spüre, dass mich die Situation insgesamt verändert hat. Manchmal war ich in der bedrohlichen Nähe von Konfusion und hatte leichte Wallungen, irrational zu schreien, obwohl das weiß Gott nicht meine Natur ist! Ich bezeichne mich als überlegte und geerdete Zeitgenossin. Kürzlich hörte ich auf dem Parkplatz eine selbstsicher (wirkende!) junge Frau, aufgebrezelt und balancierend in High Heels, das obligatorische Handtäschchen in der Armbeuge baumelnd, sagen: „Sollen sie doch um zehn die Schotten draußen dicht machen. Dann feiern wir eben drinnen weiter, bis fünf Uhr morgens. *Grins!“ Sie hat nicht mit dem Fuß aufgestampft, die Botschaft war jedoch klar zu erkennen: Ohne uns, wir machen, was wir wollen! Ich wünsche ihr, dass sie nicht japsend auf einem Intensivbett landet!

Entspannung im Stunden-Slot

Ich könnte es mir auch gut vorstellen, einen Urlaub fern des inzwischen grauen Alltags zu verbringen. Die Aussicht allerdings, wie gewohnt im Urlaub herunterzukommen und auftanken zu können scheint mir naiv. Wir haben unsere geplanten Urlaube mit Bedauern und schweren Herzens abgesagt. Unter anderem aus gründlichen Überlegungen und der Erkenntnis heraus, dass wir so oder so enttäuscht sein würden. Abtauchen kann nur entspannt gelingen. Und das wären wir nicht aus vielen Gründen. In den Restaurants und Bars Slots zu buchen und dann ständig auf die Uhr zu schauen, klingt sehr unentspannt. Im Hotel sein Frühstück am Vortag zu buchen und Fahrten in den öffentlichen Verkehrsmitteln mit Abstand und Maske ebenso. Schlange stehen vor den Schiffen des Personenverkehrs, zum Beispiel auf meinem geliebten Bodensee ist undenkbar für uns, denn mit vielen Menschen auf engem Raum zu sein, danach steht mir nicht der Sinn. Mit anderen Worten: Sarah Connors Wunsch nach „extradicht beieinander stehn“ habe ich derzeit nicht. Und ich weiß nicht, ob ich ihn einmal wieder haben werde …

Aktionsradius

Pferd auf der Winterweide

„Der ganze Scheiß mit dem Abstand“ ist gerade kein Scheiß, obwohl er sich nicht gut anfühlt. Er ist überlebensnotwendig, und für mich bedeutet er mittlerweile puren Schutz. Ich erschrecke, wenn mir jemand auf die Pelle rückt, und ich erschrecke mich, wenn ich die neuesten Bildern aus Bars, wie denen in Tel Aviv sehe. Das war früher schon nicht mein Ding!

Sarah wünscht sich zurück nach Island: „Bye-bye“! Bei drei bis vier Einwohnern pro Quadratkilometer kann man sich bestens aus dem Weg gehen. Ich wünsche mir Menschen um mich herum, jedoch vernünftige Menschen. Und ich wollte sie noch nie „dicht“ auf der Pelle haben. Das Modell wäre aus meiner Sicht nicht das Richtige. „Weißt du, wovon ich grad am liebsten träum. Dass du mich weckst und sagst, Es ist vorbei! Bye-bye, bye-bye.“ Wir haben beschlossen, zunächst einmal abwartend zuhause zu bleiben und uns in Gelassenheit zu üben. Ich werde auch die Podcasts und nächtlichen Talkshows spärlicher frequentieren, denn habe ich sie des Nachts hinter mir, überkommen mich belastende Träume. Ohne jedoch das Ohr am Puls der Zeit zu haben und ohne die beharrlichen Fragen von Maischberger, Illner, Lanz und anderen schlüssig beantwortet zu sehen, komme ich mir abgehängt vor.

Am Morgen nach langer Nacht

Wolken, von der Sonne beschienen

Habe ich genug mit der Realität oder deren Auslegung gekämpft und mich mit widerstreitenden Informationen gespickt und gepeinigt, träume ich vor dem Einschlafen dann doch ein wenig davon, dass mich der Liebste am Morgen weckt und mir ins Ohr flüstert: „Es ist vorbei!“ Während ich dahin dämmere, plane ich ein Fest nach dem Motto „Alt und Jung und Groß und Klein, keiner mehr Zuhaus allein. Bye-bye, bye, bye.“ Ich übe mich weiter in Vernunft, doch zwischendurch träume ich und fliehe auch auf meine Inselchen. Dann denke ich, letzten Endes hat Sarah recht: Es geht vorbei! Mein Fazit ist, dass wir abwarten können, und wir lernen und machen etwas daraus. Es ist jedem offen, sich weiterzuentwickeln und aus der belastenden und einen an die Grenzen treibenden Situation gestärkt hervorzutreten. Jammern geht immer und Durchpennen mag als vermeintliche Lösung winken! Auf dass ein jeder seinen Weg finde. Man sieht sich wieder und streckt, während wir noch warten, die Arme zum Himmel: Heureka!

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